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Glashybrid vs. Komposit: Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit in einer multizentrischen Studie

Die Ratifizierung des Minamata-Übereinkommens hat die Erforschung von Dentalamalgam-Alternativen wie Glashybriden und Kompositen gefördert. © Sergii Kuchugurnyi/Shutterstock

Mo. 26. April 2021

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Mit dem Minamata-Übereinkommen von 2013 haben sich die Staaten der EU dazu verpflichtet, quecksilberhaltige Industrieprodukte wie Dentalamalgam bis zum Jahr 2030 vollständig oder weitgehend aus dem Ver- und Ensorgungskreislauf zu nehmen.1 Im Jahr 2020 kam die EU in einem Gutachten zu dem Schluss, dass auch für Dentalamalgam nicht nur der geplante weitgehende, sondern sogar ein vollständiger Ausstieg möglich sei. Dentalamalgam ist demnach ein Material der Vergangenheit.

In Deutschland und vielen anderen Ländern hat sich diese Entwicklung jedoch bereits ohne das Minamata-Übereinkommen seit längerem abgezeichnet. Moderne zahnfarbene Restaurationsmaterialen wie Komposite oder Glasionomere ermöglichen eine metallfreie Restauration von Zahnhartsubstanzdefekten bei gleichzeitig besserer Ästhetik und weniger Substanzverlust während der Präparation.2

Während die Komposite über vorteilhafte physikalische Eigenschaften verfügen, zum Beispiel eine hohe Biegefestigkeit, ist ihr Einsatz technisch anspruchsvoll. Die Dentalindustrie hat zwar in den letzten Jahren die Komplexität der notwendigen Behandlungsschritte beim Legen einer Kompositfüllung deutlich reduzieren können, doch selbst moderne Ein-Schritt-Adhäsivsysteme in Kombination mit Bulk-Fill-Kompositen – die je nach Kavitätendimension und Material oft in zumindest zwei Inkrementen appliziert werden müssen – benötigen weiterhin eine schrittweise Applikation unter adäquater Trockenlegung. Zudem weisen Komposite vor allem im Bereich gingivo-zervikaler Ränder ein im Vergleich mit Amalgam erhöhtes Risiko für Sekundärkaries auf, und gerade die oben genannten zeitsparenden Materialien sind hier möglicherweise besonders problematisch.

Die Glasionomere auf der anderen Seite wurden lange Zeit als provisorische Materialien mit einer begrenzten Lebensdauer im Seitenzahnbereich angesehen. Dies war weitgehend in den physikalischen Eigenschaften dieser Materialien begründet, wiesen sie doch eine geringe Biegefestigkeit und eine eingeschränkte Abrasionsbeständigkeit auf. Mit dem Ziel, diese Nachteile zu beseitigen, wurden fortschrittliche, hochviskose Glasionomere mit einer lichthärtenden Harzbeschichtung eingeführt.3

Im Jahr 2015 wurde eine neue Klasse von Restaurationsmaterialien eingeführt – die Glashybride. Bei diesen Materialien handelt es sich um Fluoraluminosilikatgläser, die mit einem zweiten, kleineren und reaktiveren Silikatpartikel und Acrylsäuremolekülen mit höherem Molekulargewicht verstärkt sind. Dadurch können die Matrixvernetzung und die mechanischen Eigenschaften des Materials erhöht werden.4,5 Zur Abdeckung der Restaurationen wird ein nanogefüllter Kunststofflack verwendet, der die Widerstandsfähigkeit des Materials gegenüber mechanischen Kräften erhöhen soll5,6 und eine höhere Oberflächenstabilität und Ästhetik ermöglicht. Selbst bei einem gewissen Verschleiß des Kunststofflacks im kautragenden Bereich kann dieser erneut aufgetragen werden, und somit vor allem das Problem der Abrasionsstabilität weitgehend beseitigt werden.5

Glashybride weisen im Vergleich zu Kompositen mehrere Vorteile auf:

  1. Sie sind selbstkonditionierend und selbstadhäsiv; weshalb die Applikation eines Adhäsivsystems entfällt.
  2. Sie werden in einem Inkrement, also wirklich im Bulk, appliziert – unabhängig von der Kavitätendimension – unter anderem weil eine sichere Aushärtung in allen Schichten und unabhängig von Lichtpolymerisationsschritten erfolgt.
  3. Sie sind zudem moderat feuchtigkeitstolerant.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde erstmals ein modernes Glashybridmaterial gegenüber einem etablierten Kompositmaterial zur Restauration von zweiflächigen, okklusal-proximalen Resaturationen in Molaren, also im kaulasttragenden Bereich, getestet. Hierbei handelte es sich um eine randomisiert kontrollierte klinische Studie, bei der Patienten mit zwei restaurationsbedürftigen Molaren in einem Molar zufällig das Glashybridmaterial und in dem anderen Molar zufällig das Kompositmaterial erhielten; die Materialien wurden anschließend beim selben Patienten verglichen.7 Das Besondere an dieser Studie war die große Zahl an Patienten. Des Weiteren fand sie in vier verschiedenen Ländern statt – Kroatien, Serbien, Italien und der Türkei. In allen vier Ländern wurden die Patienten in Universitätskliniken behandelt. Die Patienten mussten mindestens 18 Jahre alt sein und die Zähne sensibel auf die Vitalitätsprobe reagieren. Insgesamt wurden 180 Patienten, jeder mit einem zu restaurierenden Molarenpaar (d.h. 360 Molaren), eingeschlossen.

Tabelle 1: Patienteneigenschaften, Kosten und mittlere Überlebenszeiten (Standardabweichung).
Parameter Länder
Kroatien Italien Serbien Türkei
Alter (Jahre) 26,5 (7,4) 44,6 (15,8) 31,7 (11,4) 30,6 (11,2)
Geschlecht (w/m) 44/16 16/16 16/12 40/20
Glashybridkosten (US-Dollar) 92,7 (7,4) 146,1 (12,9) 44,0 (3,3) 66,2 (11,9)
Kompositkosten (US-Dollar) 126,42 (16,3) 146,2 (19,3) 61,0 (3,5) 128,6 (3,8)
Überlebenszeit Glashybrid (Monate) 35,1 (3,4) 35,3 (2,3) 34,1 (6,2) 35,0 (3,0)
Überlebenszeit Komposit (Monate) 34,3 (5,1) 35,0 (4,0) 34,9 (4,6) 35,8 (1,0)

Die Zähne wurden zunächst gereinigt, eine Lokalanästhesie appliziert, der mit Komposit (TetricEvoCeram, IvoclarVivadent) zu restaurierende Molar mittels Kofferdam und der mit Glashybrid (EQUIA Forte, GC) zu restaurierende Molar mit Watterollen isoliert und anschließend die Kavitätenpräparation vorgenommen. Segmentmatrizen (Palodent Plus, Dentsply Sirona) wurden zur Ausformung des Approximalkontakte eingesetzt. In der Kompositgruppe wurde ein selbstätzendes  Zwei-Schritt-Adhäsivsystem (AdheSE, IvoclarVivadent) nach Herstellerangaben angewandt. Die Kavitäten  der Glashybridgruppe wurden mit 20 Prozent Polyacrylsäure (CAVITY CONDITIONER, GC) vor der Platzierung der Restauration konditioniert. Beide Materialien wurden dann nach Herstellerangaben appliziert, das Glashybrid wurde anschließend noch mit einem nano-gefüllten Kunststofflack (EQUIA Coat, GC) überzogen.

Die Patienten wurden über insgesamt drei Jahre nachverfolgt; die geplante Nachverfolgungsdauer sind fünf Jahre. Jeder Patient wurde durch zwei verblindete, unabhängige und kalibrierte Prüfer mittels der Kriterien der FDI World Dental Federation untersucht.7 Mittels statistischer Verfahren konnte die mittlere Zeit bis zu einer Komplikation für beide Gruppen ermittelt werden. Weiterhin wurden die Kosten für die initiale und für Folgebehandlungen innerhalb des Untersuchungszeitraumes, beispielsweise für restaurative, endodontische oder chirurgische Komplikationen, ermittelt. Hierzu wurden Gebührenpositionen aus den Gebührenordnung für Zahnärzte der verschiedenen Länder herangezogen. Einschränkend ist zu erwähnen, dass diese Gebührenordnungen in den vier Ländern sehr unterschiedlich angewandt werden und das die Kosten in der durchgeführten Analyse aus der Perspektive innerhalb eines universitären Rahmens und nicht aus der Perspektive einer privaten Praxis ermittelt worden sind. Um eine Vergleichbarkeit über die vier Länder zu ermöglichen, wurden diese Kosten mittels der Kaufkraftparität [Englisch: purchasing power parities]8 von 2018 harmonisiert und in US-Dollar pro Zahn angegeben. Die Kosten- und Wirksamkeitsunterschiede, also die Differenz in US-Dollar pro Gewinn oder Verlust an komplikationsfreier Zeit (in Monaten), wurden abschließend berechnet und stratifizierte Analysen für jedes Land zusätzlich zur Hauptanalyse durchgeführt.

Von den 180 Patienten wurden deutlich mehr in Kroatien und der Türkei als in Italien und Serbien behandelt. In Italien waren die Patienten älter als in den anderen drei Zentren. Insgesamt konnten 32 Patienten während der dreijährigen Studie nicht weiter verfolgt werden und 21 Patienten (27 Molaren) benötigten eine Folgebehandlung aufgrund von Komplikationen. Die zwei Materialien wiesen nur begrenzt unterschiedliche komplikationsfreie Zeiten auf. Auf die einzelnen Länder heruntergebrochen war die Überlebenszeit von Glashybriden in Kroatien und Italien tendenziell länger als die von Kompositen und tendenziell kürzer in Serbien und der Türkei. Insgesamt waren die Unterschiede jedoch minimal und nicht statistisch signifikant.

Ein gänzlich anderes Bild bot sich bei den Kosten (Tabelle 1). In Kroatien, Serbien und der Türkei war Komposit initial deutlich teurer als Glashybrid. Auch über die gesamte Untersuchungsdauer konnte in diesen drei Ländern beim Einsatz von Glashybrid Geld gespart werden.

Die Ergebnisse dieser Studie sind auf vielen Ebenen relevant. Es handelt es sich um eine große randomisierte kontrollierte klinische Studie aus vier verschiedenen Ländern. Die hohe methodische Qualität und das randomisierte Design führen zu einer hohen internen Validität, weshalb die Studienergebnisse vermutlich robust sind. Ausgehend davon, dass die Studienergebnisse in vier verschiedenen Zentren in sehr unterschiedlichen Patienten ähnlich ausfallen, kann zudem auch die sogenannte externe Validität, also die Generalisierbarkeit der Studienergebnisse, als hoch eingeschätzt werden. Zudem wurde ein hoher methodischer Anspruch umgesetzt: die Prüfer wurden verblindet (soweit dies möglich war, da Glashybridrestaurationen und Komposit im Einzelfall für den Prüfer identifzierbar gewesen sein werden) und vor den Untersuchungen kalibriert, und es wurden etablierte Untersuchungskriterien angewandt. Auch die Betrachtung mehrerer Endpunkte, also beispielsweise der komplikationsfreien Zeit und der Kostenwirksamkeit, sind hervorzuheben.

Abb. 1a–d: Restauration mit dem Glashybrid EQUIA Forte in der multizentrischen Studie. (a) Unmittelbar nach der Platzierung. (b) Einbestellung nach einem Jahr. (c) Einbestellung nach zwei Jahren. (d) Einbestellung nach drei Jahren.

Diese Studie ist eine der ersten, die die beiden vorhandenen Amalgamalternativen, Komposit und Glashybrid, miteinander in einem solchen Design und für eine entscheidende Indikation – Restaurationen im kaulasttragenden Seitenzahnbereich – vergleicht (Abb. 1).2 Die Ergebnisse sind relevant, unter anderem, weil selbst in dieser schwierigen Indikationsstellung, Glashybride insgesamt den Kompositen ebenbürtig abschneiden (mit geringen Unterschieden zwischen den Ländern). Ebenso ist relevant, dass Glashybride über fast alle Zentren hinweg deutlich günstiger als Komposite waren – sowohl initial als auch langfristig. Gerade Letzteres sollte hervorgehoben werden, kann doch die langfristige Kostenwirksamkeit deutlich durch Komplikationen über die Nachuntersuchungsdauer hinweg beeinflusst werden. Zahlreiche Studien in der Zahnmedizin haben gezeigt, dass initial kostengünstigere Interventionen nicht unbedingt auch langfristig kostenwirksam sind; ein hoher Grad an Komplikationen kann durchaus auch initiale Einsparung kompensieren und langfristig eine zunächst günstiger erscheinende Alternative langfristig teurer werden lassen.9,10 Dies war in dieser Studie nicht der Fall; Glashybride waren initial in drei Zentrum günstiger und auch langfristig konnten sie diesen Kostenvorteil halten, zum Teil, weil die Komplikationsraten zwischen Glashybriden und Kompositen ähnlich war.

Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass ausgehend von dieser einen Studie noch keine vollständige Verallgemeinerung der Ergebnisse möglich ist; von zu geringer Quantität ist die Datenlage zu Glashybriden für den Einsatz in größeren belasteten Seitenzahnkavitäten. Auch wenn In-vitro-Studien und die vorliegende randomisiert kontrollierte Studie vielversprechend sind, sollten weitere robuste klinische Daten, idealerweise aus praxisbasierten multizentrischen Studien erhoben werden, bevor abschließend ein Vergleich zwischen Glashybriden und Kompositen für diese Indikation angestellt werden kann. Trotzdem sollte zusammenfassend hervorgehoben werden, dass Glashybride eine amalgamähnliche Anwendbarkeit zeigen.  Vielmehr beschreibt die Studie eine den Kompositen ähnliche klinische Wirksamkeit und eine hohe Wirtschaftlichkeit. Ausgehend von diesen vorläufigen Ergebnissen können Kliniker zukünftig indikationsgerecht sowohl Komposite als auch Glashybride für kaulasttragende Restaurationen im Seitenzahnbereich einsetzen.

Anmerkung der Redaktion: Eine vollständige Liste der Referenzen ist beim Verlag erhältlich. Die Studie mit dem Titel „Cost-effectiveness of glass hybrid versus composite in a multi-country randomized trial“ wurde in der April-Ausgabe des Journal of Dentistry veröffentlicht.

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