ZÜRICH - So winzig Nanopartikel sind, so grosse Hoffnungen setzt man u.a. in der Krebstherapie in sie. Doch es gibt Orte im menschlichen Körper, wo die synthetisch hergestellten Teilchen aus Eisen-, Aluminium-, Silizium- oder Titan-Oxid unerwünscht sind. Eine interdisziplinäre Tagung an der UZH weist auf die juristischen Lücken hin.
Nanopartikel sind synthetisch hergestellte Teilchen aus Eisen-, Aluminium-, Silizium- oder Titan-Oxid, die 1 bis 100 Milliardstel Meter klein sind. Damit sind sie über tausend Mal dünner als ein Menschenhaar. In diesen Mikrodimensionen ändern sich die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Materialien, so dass Nanopartikel für neue Produkte und Verfahren verwendet werden können.
Stark verbreitet
Nanopartikel finden heutzutage vor allem in der Elektronik, Pharmazie, Medizin, Kosmetik, Flächenveredelung und in der Chemie Verwendung. Sie schützen in Sonnencremes vor UV-Strahlung. Sie machen Pillen, Zahnpasta und Lebensmittel schön weiss. Sie kommen als Antiklumpmittel in Mehl, Puderzucker, Milchpulver und Fertigsuppen vor. Man findet sie in chemisch hergestellten Produkten wie Farben und Batterien. Verbreitet sind sie auch als Schmutz abstossende, kratzfeste oder antibakterielle Beschichtung. Kurzum: Nanopartikel sind ein boomender Markt, wie auch das deutsche Bundesamt für Mensch und Umwelt feststellte: «Die Industrie», heisst es in einem Bericht vom Oktober 2011, «erwartet im Jahr 2015 einen weltweiten Umsatz mit Nanotechnikprodukten bis zu einer Billion US-Dollar.»
Chancen und Risiken
Grosse Hoffnungen wecken Nanopartikel auch in der Medizin. Da sie so winzig sind, können sie Schranken im menschlichen Körper überwinden, die normalerweise verschlossen bleiben: die Blut-Hirn-Schranke etwa. Oder sie gelangen in die Plazenta und damit in den Fötus. Die Nanopartikel werden dabei mit Wirkstoffen (Medikamenten, Hormonen) versehen, auf dass sie diese ganz gezielt in die erkrankten Zellen im Körper transportieren.
Experimentelle Onkologie
Noch steckt die Nanomedizin in den Kinderschuhen. Sie wird bisher in keinem Schweizer Spital angewandt. Doch die Erwartungen sind gross: Vor allem in der Krebsbekämpfung tun sich interessante Anwendungsfelder auf. Zum Beispiel werden Eisenoxid-Nanopartikel direkt in die Tumorzellen eingespritzt und dann erhitzt. So bringen sie die Krebszellen zum «Kochen», worauf diese absterben – ein neues Verfahren, das bisher ohne Nebenwirkungen zu sein scheint. Christoph Alexiou vom Universitätsklinikum Erlangen wird an der Tagung «Nanomedizin: Chancen und Risiken» vom 2. November an der UZH die Möglichkeiten und Aussichten der experimentellen Onkologie und Nanomedizin erörtern.
Forschung oder Therapie?
Bisher wird die Nanomedizin in der Schweiz nur im Rahmen von Studien praktiziert. Sie untersteht damit rechtlich gesehen dem Schweizerischen Humanforschungsgesetz. Um als medizinische Verfahren in der normalen ärztlichen Behandlung zugelassen zu werden, müssen sie den rechtlichen Regelungen medizinischer Praxis genügen. Ob und inwiefern sie dies tun, ist noch unklar. Noch weiss man nicht, welche mittel- und langfristigen Auswirkungen Nanopartikel im menschlichen Körper haben. Immerhin gibt es erste Studien, die eine entzündungsfördernde Wirkung von Titan-Oxid-Partikeln in Darmzellen zeigen. Eine aktuelle Studie dazu hat UZH-Professor Gerhard Rogler erstellt. Er wird an der Tagung referieren und den Themenkomplex «Nanopartikel aus der Nahrung» moderieren. Rogler ist Spezialist für chronische Darmentzündungen (Morbus Crohn) am Universitätsspital Zürich. Seine Forschung zeigt, dass bei chronischen Darmentzündungen auch ein erhöhtes Mass an Titan-Oxid-Partikeln im Blut von Patienten gemessen werden kann (siehe Video).
Wer haftet im Schadenfall?
Das ist nicht nur medizinisch relevant; auch juristisch kann es Auswirkungen haben. Generell muss geklärt werden, wer bei Schädigungen durch Nanopartikel eigentlich haftbar ist – Fragen, die ebenfalls an der Tagung diskutiert werden, unter anderem von Brigitte Tag, Rechtsprofessorin an der UZH. Besonders schwierig ist die Haftpflichtfrage bei nanomedizinischen Behandlungen eines ungeborenen Kindes: Der Embryo kann – anders als erwachsene Studienteilnehmer – nicht selbst entscheiden, ob und wie er therapiert werden möchte, so dass die Mutter aufgrund der Informationen des behandelnden Arztes ja oder nein zu einem nanomedizinischen Eingriff sagen müsste. Eine äusserst schwierige Entscheidung.
Viele offene Fragen
Nanopartikel werden die medizinische Forschung, die Rechtswissenschaften und die Ethik zukünftig wohl noch intensiver als heute beschäftigen. Zu viele juristische, ethische und medizinische Fragen rund um die Nanomedizin sind noch unbeantwortet. Die Tagung am 2. November trägt dazu bei, das aktuelle Thema in der Schweiz nun mit mehr Nachdruck als zuvor anzugehen.
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