BERN – Bislang haben Krankenkassen medizinische Eingriffe im Ausland nicht vergütet. Doch seit einiger Zeit buhlen Versicherer mit Billigangeboten – auch für Zahnbehandlungen – um neue Kunden.
So wirbt die Krankenkasse Assura in Genf wiederholt mit Behandlungen im Ausland. Die Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft SSO verurteilt diese Praxis. Sie ist rechtlich fragwürdig, für Patienten bedenklich und gesundheitspolitisch falsch.
Immer mehr Krankenkassen schicken Schweizer Patienten zur medizinischen Behandlung ins Ausland. Gezielt buhlen die Versicherer mit Sparangeboten um Kundschaft. Sie gehen dafür Kooperationen mit spezialisierten Firmen ein. Grundsätzlich herrscht in der Schweiz das sogenannte Territorialitätsprinzip1 . Das bedeutet, dass die Grundversicherung nur Leistungen deckt, die in der Schweiz erbracht werden. Doch in Zeiten steigender Versicherungsprämien bröckelt dieses Prinzip. Parlamentarier diskutieren mittlerweile offen über dessen Abschaffung. So fordert gar der bundesrätliche Expertenbericht zur Dämpfung der Gesundheitskosten, dass medizinische Behandlungen im Ausland bezahlt werden sollen, sofern sie dort günstiger sind als in der Schweiz. Das ist stossend, denn: Die Behandler im Ausland müssen sich nicht an dieselben strengen Auflagen halten, die für die Leistungserbringer in der Schweiz gelten. «Wir fordern gleich lange Spiesse für alle», erklärt Olivier Marmy, Mitglied des SSO-Zentralvorstands. «Während die Politiker den Handlungsspielraum für die Leistungserbringer in der Schweiz zunehmend einengen, fördern sie gleichzeitig Behandlungen im Ausland, wo andere Massstäbe angesetzt werden. Wir wehren uns gegen diese Ungleichbehandlung!», so Marmy weiter.
Die Krankenkassen nutzen diese Situation aus – auf Kosten der Patienten: Die freie Wahl ihres Behandlers wird eingeschränkt. Auf Werbematerialien und Onlineportalen locken die Partnerfirmen der Versicherer mit teilweise erheblichen Preisunterschieden – auch in der Zahnmedizin. Geworben wird allen voran für komplexe Eingriffe wie Zahnkronen oder Implantate. Viele Patienten sind sich nicht bewusst, dass solche Behandlungen zeitintensiv sind. Zwischen den einzelnen Behandlungsschritten wäre eine längere Einheilzeit nötig. Weil Auslandsaufenthalte in der Regel nur wenige Tage dauern, besteht die Gefahr, dass an Zähnen zu viel auf einmal vorgenommen wird. Die Folge: Nicht selten müssen Patienten nach Dentalreisen hiesige Zahnärzte für Nachbehandlungen aufsuchen oder sich für weitere rechtliche Schritte von Patientenschutzorganisationen beraten lassen.
Die Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft SSO stösst sich am widersprüchlichen Verhalten der Krankenversicherer und Behörden. Letztere sorgen in der Schweiz – im Sinne der Patientensicherheit – für strenge Hygienevorschriften, lückenlose Kontrollen und scharfe Regulierungen.
Ausländische Standards und ihre Einhaltung können Schweizer Behörden nicht überwachen. Trotzdem reagieren die Behörden bislang nicht, wenn Krankenkassen Schweizer Patienten für Behandlungen aus der Grundversicherung ins Ausland senden und so willentlich das Territorialitätsprinzip verletzen. Diesen Missstand gilt es zügig zu beheben. Last but not least: Jeder Patient, der in der Schweiz zum Zahnarzt geht, hilft mit, Arbeitsplätze (Zahnärzte, Dentalassistentinnen, Dentalhygienikerinnen, Zahntechniker) in der Schweiz zu sichern.
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