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Alter Schädelknochen neu entdeckt

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So. 26 August 2012

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ZÜRICH - Unter Zuhilfenahme von bildgebenden Methoden haben Paläontologen der Universität Zürich den Os interparietale bei allen Säugetieren nachweisen können – auch beim Menschen. Das ist neu, denn bis heute glaubte man ihn evolutionsbedingt als verloren.

Im
Embryo lässt er sich klar erkennen. Kurze Zeit später verschmilzt er
bis zur Unkenntlichkeit mit anderen Knochen. Deshalb haben ihn die
Forschenden bisher öfter übersehen. Jetzt aber haben ihn Paläontologen
der Universität Zürich neu entdeckt: den Os interparietale, ein
Schädelknochen, der auch Zwischenscheitelbein genannt wird. Unter
Zuhilfenahme von bildgebenden Methoden haben sie sein Vorkommen bei
allen Säugetieren nachweisen können – auch beim Menschen. Das ist neu,
denn bis heute glaubte man ihn evolutionsbedingt als verloren.

Der Schädel
von Säugetieren, einschliesslich der des Menschen, setzt sich aus etwa 20
Knochen zusammen. Über weitaus mehr Knochen verfügen dagegen die Schädel der
Fische, Reptilien und Vögel. Denn als sich vor 320 Millionen Jahren aus den
reptilienartigen Wirbeltieren die Säugetiere entwickelten, hatte sich bei der
Entwicklung des Schädels dessen Struktur vereinfacht sowie die Anzahl
Schädelknochen reduziert.

In der zu den Säugetieren führenden Abstammungslinie
gingen während der
Evolution einige Knochen verloren, insbesondere auch etliche Knochen des Schädeldachs. Das
Zwischenscheitelbein aber, auch «Os interparietale» genannt, das ebenfalls zu den Knochen des
Schädeldaches gehört, gab der Forschung Rätsel auf: Einerseits scheint es
erhalten, etwa beim Menschen, bei den Karnivoren und den Huftieren
(beispielsweise bei den Pferden), andererseits findet man es nicht bei allen
Säugetieren. Eine Erklärung hierfür gab es bisher nicht.

Marcelo Sánchez, Professor für Paläontologie der Universität
Zürich, und der Postdoktorand Daisuke Koyabu haben jetzt zusammen mit einem
Kollegen der Universität Tübingen das
Vorhandensein des Zwischenscheitelbeins doch nachweisen können: Sie haben Fossilien
und Embryos von mehr als 300 Wirbeltierarten untersucht, und bei allen konnten
sie den Knochen identifizieren. Zum Einsatz gekommen waren nichtinvasive Mikro-Computertomographie-Aufnahmen,
analysiert hatten sie seltene Embryos unterschiedlicher Säugetierarten aus
Museumssammlungen. «Das Zwischenscheitelbein war in Proben aus der Embryonalperiode deutlich
erkennbar, da hier die Schädelknochen weniger stark miteinander verschmolzen
sind», erläutert Marcelo Sánchez.
Darin, dass der Knochen nur im Embryonalstadium klar und gut erkennbar ist,
sieht er gleichzeitig den Grund dafür, dass ihn frühere Forschende nicht
erkannt haben: «Scheinbar
haben viele Anatomen das Vorhandensein des Zwischenscheitelbeins bei
zahlreichen Säugetier-Abstammungslinien übersehen, da dieser Knochen im Verlauf
des Wachstums mit anderen Schädelknochen verwächst und bei adulten Individuen
unkenntlich wird.»

Derselbe Schädelknochen in Fisch und Mensch

Ein weiteres
Resultat, welches ebenfalls bisherige Annahmen widerlegt, bezieht sich
auf die
Herkunft des Knochens. Daisuke
Koyabu berichtet: «Während bisher angenommen wurde, dass das
Zwischenscheitelbein der
Säugetiere aus zwei Elementen besteht, fanden wir heraus, dass es sich
aus vier Elementen entwickelt, einem medialen und einem lateralen Paar.»

Die Plattenknochen unserer
reptilienartigen Vorfahren sowie der Fische entsprechen dabei den lateralen
Interparietalknochen, welche bisher übersehen wurden, gemäss den neuen
Ergebnissen aber in den Abstammungslinien der Säugetiere doch erhalten bleiben.

Mit dieser Zuordnung lässt sich auch der
entwicklungsgeschichtlich gemischte Gewebeursprung des Interparietalkomplexes
erklären, der zwar bei Mäusen bereits nachgewiesen, jedoch durch herkömmliche
anatomische Untersuchungen bisher nicht bestätigt werden konnte: Genetische
Untersuchungen haben gezeigt, dass sich das laterale Knochenpaar aus dem
Mesoderm, das mediale Paar jedoch aus Neuralleistenzellen entwickelt.

Dieser bisher unerklärbare, gemischte
Gewebeursprung des Interparietalkomplexes findet in der aktuellen Studie eine
schlüssige Begründung: Er ist auf die evolutionäre Verschmelzung des Os interparietale
mit den Plattenknochen in den Abstammungslinien der Säugetiere zurückzuführen.

Die
Studie liefert sodann auch Einsichten zu uns Menschen, wie Marcelo
Sánchez abschliessend festhält: «Der Nachweis der Weiterführung von
Fischknochen in Säugetieren bringt neue Erkenntnisse über die Ursprünge
unserer
eigenen Anatomie.» Möglich wurden diese anatomischen Entdeckungen dank
neuem
bildgebenden Verfahren, der Mikrotomographie, der Museumssammlungen
seltener
Tierembryos sowie der fachübergreifenden Zusammenarbeit von
Paläontologie und
Embryologie.

Literatur:

Daisuke
Koyabu, Wolfgang Maier, and Marcelo Sánchez-Villagra. Paleontological
and developmental evidence resolve the homology and dual embryonic
origin of a mammalian
skull bone, the interparietal. Proceedings of the National Academy of
Sciences
PNAS.
August 14, 2012. doi:10.1073/pnas.1208693109 

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