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BERN - Jüngst ehrte die Klinik für Kieferorthopädie der Universität Bern Prof. Dr. Anne Marie Kuijpers-Jagtman, Direktorin der Abteilung für Kieferorthopädie und Kraniofaziale Biologie der Radboud Universität Nijmegen, Niederlande und Leiterin des Spaltenzentrums des Universitätsspitals UMC St Radboud, für ihre herausragenden Leistungen.
Der Paul Herren wurde Award im Dezember 2011 zum dritten Mal vergeben. Med. dent. Roman Wieland war im Hotel Bellevue Palace in Bern dabei.
Seit 2009 ehrt die Klinik für Kieferorthopädie der Universität Bern herausragende Leistungen in der Kieferorthopädie mit dem Paul Herren Award. So auch wieder im Dezember 2011. Den Preis erhielt Prof. Dr. Anne Marie Kuijpers-Jagtman, Direktorin der Abteilung für Kieferorthopädie und Kraniofaziale Biologie der Radboud Universität Nijmegen, Niederlande und Leiterin des Spaltenzentrums des Universitätsspitals UMC St Radboud aus den Händen von Prof. Peter Eggli, Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Bern. Anschliessend hielt Prof. Kuijpers-Jagtman ihren 90-minütigen Vortrag „The Dark Side of Orthodontics“.
Die dunkle Seite der Kieferorthopädie
Beginnend mit einer Auflistung aller möglichen Nebenwirkungen, die eine kieferorthopädische Therapie zur Folge haben kann, sensibilisierte Prof. Kuijpers-Jagtman ihre Zuhörer, nicht nur über schöne Fälle zu sprechen, sondern auch die negativen Aspekte zu betrachten. Die Amerikanische Gesellschaft für Kieferorthopädie gab dazu sogar ein ausführliches Dokument als Patienten-Einverständniserklärung heraus.
Trügerisch schöne Zahnstellung
Mögen auch die intraoralen Bilder einer abgeschlossenen kieferorthopädischen Behandlung einer erwachsenen Person schön aussehen, heisst das noch lange nicht, dass auch unter dem Zahnfleisch alles in Ordnung ist. Prof. Kuijpers-Jagtman präsentierte einen Patientenfall, bei dem die Wurzelspitzen förmlich weggeschmolzen sind. Mittels histologischer Schnittbilder und schematischer Grafiken wurde gezeigt, wie eine kieferorthopädische Bewegung abläuft und dass diese zu Resorptionen führen kann. Versuche an Tieren und Menschen zeigten, dass an dem Ort, wo die Hyalinisation stattfindet, die Zellen auch den Zahn auflösen. Heimtückisch ist die Beurteilung dann auf dem zweidimensionalen Röntgenbild, wo meist nur Resorptionen an der Wurzelspitze zu erkennen sind; Veränderungen, die an den Seiten stattfindenden, können nur mittels 3D-Röntgen frühzeitig festgestellt werden. Aktuellste Studien zum 3D-Röntgen zeigen, dass mindestens 94 Prozent aller kieferorthopädisch behandelten Patienten mindestens einen Zahn mit Resorptionen aufweisen (bis 1mm), 6 Prozent hatten Resorptionen von über 4mm. Zu beachten ist, dass mittels konventionellem Röntgen nur eine Verkürzung der Spitzen zu erkennen ist. Gibt es an den Seiten Resorptionen, wird dies nur dank 3D sichtbar. Um unnötiges 3D-Röntgen vermeiden zu können, empfiehlt Prof. Kuijpers-Jagtman das Herunterladen der Richtlinien und das Absolvieren des Trainingsprogramms auf www.sedentexct.eu als gute Ergänzung zu ALARA. Für den Fall eines impaktierten Eckzahnes ändert sich in 3/4 der Situationen die Therapie nicht, in den übrigen Fällen sind jedoch Resorptionen zu erkennen und die Behandlungsplanung ändert sich.
Halten resorbierte Zähne lebenslang?
Prädisponierende Faktoren für eine Wurzelresorption sind gekrümmte oder schmale Wurzeln sowie überdurchschnittlich lange Zähne. Sind bereits am Anfang der Therapie Wurzelresorptionen vorhanden, so wird es auch später zu Resorptionen kommen. Als Empfehlung gibt Prof. Kuijpers-Jagtman an, nach sechs Monaten alle Patienten zu röntgen und auf Resorptionen zu überprüfen. Nach einem Jahr ist dies aber nur noch bei denjenigen nötig, die bereits nach sechs Monaten Resorptionen aufwiesen. Ob die Resorption die Lebensdauer der Zähne beeinträchtigt, ist schwer zu beantwortenden. Sobald die kieferorthopädischen Kräfte nachlassen, stoppen auch die Resorptionen. Studien zeigen, dass sich selbst auch nach 20 Jahren sehr grosse Resorptionen ruhig verhalten. Heikel wird es jedoch dann, wenn durch eine Parodontitis auch noch Knochenverlust hinzukommt und dann nicht mehr viel Attachment übrig bleibt.
Ohne Retention keine bleibende Zahnkorrektur
Weil sich der Körper samt des Schädels ein Leben lang verändert, bewegen sich auch die Zähne mit. Prof. Kuijpers-Jagtman präsentierte Bilder und Schemata von Gesichtern, die zeigen, wie sie sich über die Zeit veränderten. Sogar Rembrandt vermag dies in seinen Selbstportraits zu zeigen. Bei einem Rezidiv sind auf dem histologischen Schnittbild die gleichen Prozesse wie bei einer Resorption zu erkennen: Hyalinisation gefolgt von Resorption. Rezessionen entstehen nicht aufgrund gedehnter Kollagenfasern, da der Turnover dieser Fasern dazu viel zu kurz ist. Vielmehr sind es die Veränderungen der elastischen Eigenschaften der Gingiva aufgrund der Biosynthese von neuen elastischen Fasern und Komponenten der extrazellulären Matrix (z.B. Glukosaminoglykanen). Tierversuche zeigen, dass sich die Zähne ohne Retention um ca. 30 bis 50 Prozent wieder zurück bewegen, wurden die Zähne aber für eine bestimmte Zeit mit einer Retention versorgt, ist das Rezidiv insgesamt geringer. Eine Bewegung der Zähne in grossem Masse, hat jedoch auch ein grösseres Rezidiv zur Folge. Bewegungen im Bereich von 2 Millimetern ergeben immer ein Rezidiv, ein Retainer ist somit unabdingbar.
KFO-Patienten im lebenslangen Recall behalten
Was die wissenschaftlich belegte Wirkung von Retainern anbelangt, so ist die Studienlage sehr dünn. Über 400 verschiedene Typen von Retainern sind erhältlich, aber nur gerade mal fünf randomisierte Untersuchungen sind verfügbar. Ob eine Tiefziehschiene oder Plattenapparatur als Retention nur nachts oder auch tagsüber getragen werden muss, lässt sich nicht verlässlich beantworten. Dazu sind noch mehr Studien nötig. In den zwei Jahren nach einer kieferorthopädischen Behandlung treten 50% der Rezidive auf, am häufigsten in der durch die Okklusion nur einseitig verschlüsselten Front. Werden Draht-Retainer nur an den Eckzähnen befestigt, so gibt es in 40 Prozent der Fälle Rezidive. Wird der Retainer an allen sechs Zähnen befestigt, sinkt dieRezidivrate auf 10 Prozent, jedoch steigt die Misserfolgsrate durch Torque-Probleme. Auf keinen Fall dürfen die Drähte aktiv sein und Kräfte ausüben, sie müssen laborgefertigt sein und passiv anliegen. Prof. Kuijpers-Jagtman empfiehlt, Patienten nach einer erfolgreichen kieferorthopädischen Therapie nicht vollständig zu entlassen, sondern in grösseren Abständen zu kontrollieren, ob Nebenwirkungen festzustellen sind.
Fr. 10. Mai 2024
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