LIEBEFELD – Die Einkommen der Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz sind bedeutend höher, als es bisherige Erhebungen vermuten liessen.
Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit BAG zeigt, dass selbstständig tätige Fachärztinnen und -ärzte über ein jährliches Medianeinkommen von 257’000 Franken verfügen. In einzelnen Fachgebieten liegt das Medianeinkommen bei über 600'000 Franken.
Die vom BAG in Auftrag gegebene Studie präsentiert umfangreiches Datenmaterial zur Einkommenssituation der selbständigen und der angestellten Fachärztinnen und –ärzte in den Jahren 2009–2014. Sie basiert auf den AHV-pflichtigen Einkommen und erreicht eine hohe Abdeckung von rund 90 Prozent. Die Einkommen wurden zudem auf Vollzeitstellen standardisiert, was wegen der zunehmenden Teilzeitarbeit für einen aussagekräftigen Vergleich wichtig ist.
Bei der selbständigen Ärzteschaft zeigen sich je nach Fachgebiet grosse Einkommensunterschiede. Die höchsten Medianeinkommen werden in der Neurochirurgie (697'000 Franken) und Gastroenterologie (627'000 Franken) erzielt. Medianeinkommen bedeutet, dass die eine Hälfte der genannten Gruppe ein tieferes und die andere Hälfte ein höheres Einkommen erzielt. Bei Ärztinnen und Ärzten der Grundversorgung liegt das Medianeinkommen bei 237'000 Franken. Die tiefsten Einkommen sind in den Fachgebieten Kinder- und Jugendpsychiatrie (183'000 Franken) und Psychiatrie und Psychotherapie (195'000 Franken) zu verzeichnen. Die Einkommen der selbständigen Ärzteschaft dürften dabei eher unterschätzt werden, weil Einkäufe selbstständig Erwerbender in die Pensionskasse, aber auch Dividendenbezüge bei Kapitalgesellschaften nicht AHV-pflichtig sind.
Deutlich höher als die Medianeinkommen sind die Durchschnittseinkommen: Selbständige Ärztinnen und Ärzte haben in der Neurochirurgie ein durchschnittliches Einkommen von 818'000, in der Gastroenterologie von 684'000 und in der Onkologie von 600'000 Franken. Die Grundversorger verdienen durchschnittlich 264'000, die Psychiater 219'000 und die Kinder- und Jugendpsychiater 187'000 Franken. Grosse Unterschiede zwischen Median- und Durchschnittseinkommen können entstehen, wenn vielen tieferen bis mittleren Einkommen ein paar sehr hohe Einkommen gegenüberstehen, die den Durchschnitt in die Höhe ziehen.
Grosse Unterschiede nach Fachgebiet gibt es auch bei den angestellten Fachärztinnen und –ärzten. Die höchsten Medianeinkommen mit jeweils über 300'000 Franken verzeichnen die Spezialisten in der Handchirurgie, Radiologie, Gastroenterologie und Herzchirurgie. 10 Prozent dieser Fachärztinnen und –ärzte verdienen über eine halbe Million Franken im Jahr.
Ärztinnen verdienen weniger
Was bei der Datenanalyse auffällt, sind die systematischen Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen. Die Einkommen der Ärzte liegen mit +29 Prozent substanziell über denjenigen der Ärztinnen. Dieser Unterschied bleibt auch bestehen, wenn Berufserfahrung, Fachgebiet und Tätigkeitssektor berücksichtigt werden. Allenfalls spielen weitere Faktoren für die Differenz eine Rolle.
Die selbständigen Ärztinnen und Ärzte konnten zwischen 2009 und 2014 in fast allen Fachgebietsgruppen einen Einkommenszuwachs verzeichnen. Im Durchschnitt beträgt er 2,5 Prozent. Die Einkommen der angestellten Ärzteschaft dagegen sind zwischen 2009 und 2014 im Durchschnitt um 5 Prozent gesunken. Der Frauenanteil ist bei den Angestellten besonders stark gestiegen, was die Lohnentwicklung zumindest teilweise erklären kann.
Transparenz bleibt wichtig
Die früheren Studien zum Einkommen der selbständigen Ärzteschaft standen wegen zwei wesentlichen methodischen Schwächen in der Kritik: Die zunehmende Teilzeittätigkeit wurde nicht berücksichtigt, und die Abdeckung der Ärzteschaft war mit den AHV-pflichtigen Einkommen aus nur einer Ausgleichskasse zu klein. Beides führte letztlich zu einer Unterschätzung der effektiven Einkommenssituation. Die vorliegende Studie beseitigt diese Mängel - und sie zeigt auf: Die auf Vollzeitstellen standardisierten Einkommen der selbständigen Ärzteschaft liegen rund 30 Prozent über den bisher publizierten, nicht standardisierten Einkommenszahlen. Ungeklärt bleibt die Frage nach der Zusammensetzung der Einkommen aus den verschiedenen Sozial- und Zusatzversicherungen. Die AHV-pflichtigen Einkommen lassen eine solche Aufteilung nicht zu.
Die Einkommensstudie ist ein Pilotprojekt und liefert das zurzeit genauest mögliche Resultat. Für eine regelmässige Erhebung fehlen dem Bund die gesetzlichen Grundlagen. Es liegt in der Verantwortung der Leistungserbringer und der Kantone, mit weiteren Einkommensstudien für eine bestmögliche Transparenz zu sorgen.
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