DT News - Switzerland - Welchen Einfluss hat die Ernährung auf die Mundgesundheit und umgekehrt?

Search Dental Tribune

Welchen Einfluss hat die Ernährung auf die Mundgesundheit und umgekehrt?

Silvia Stockmaier (rechts), KerrHawe Schweiz, aktiv an ihrem Stand. (Foto: Johannes Eschmann)
Johannes Eschmann, DT Switzerland

Johannes Eschmann, DT Switzerland

Mo. 3 Januar 2011

Speichern

BASEL - Dieser Aspekt der Zahnmedizin gewinnt an Bedeutung. Darum luden die Swiss Dental Hygienists Fachleute aus Medizin und Gesundheitswesen zu ihrem Jubiläumskongress nach Basel.

Der 35. Jahreskongress in Basel brachte eine Zäsur in der Verbandsführung. Cornelia Jäggi wurde zur neuen Zentralpräsidentin gewählt. Brigitte Schoeneich übergab nach sieben Amtsjahren das Zepter.

Nach den Begrüssungsworten von Brigitte Schoeneich, Regierungsrat Dr. Carlo Conti und Kantonszahnarzt Dr. Peter Wiehl erwarteten die über 1’000 Teilnehmerinnen den ersten Redner. Die Themen waren geschickt gewählt. Betrafen diese die Dentalhygienikerinnen als Medizinalpersonen und als Betroffene gleichermassen.

embedImagecenter("Imagecenter_1_222",222, "large");


Leben und Essen in Harmonie

Wie wichtig das Thema Ernährung genommen werden muss, zeigte gleich die erste Aussage von Prof. Claude Pichard vom HUG in Genf, dass jeder zweite hospitalisierte Patient an Mangelernährung leidet! Unser Lebensstil und die veränderten Ernährungsgewohnheiten sind allgegenwärtig: Immer weniger ballaststoffreiche Nahrung, dafür zu viel Fett, Zucker und Salz mit fatalen Folgen für den nicht angepassten Organismus. Ernährung und Mundgesundheit sind wichtige Faktoren zur Gesundheitsförderung. Beide beeinflussen sich gegenseitig. Prof. Pichard beschrieb den Wandel in der Ernährung und des Menschen seit der Steinzeit. Sein Schlusswort könnte pointierter nicht sein: „Essen um zu leben = gesund; Leben um zu essen = Tod, leben und essen = Kunst der Harmonie.

Kariesprophylaxe vermeidet Übergewicht
Ernährung und Karies bei Kindern und Jugendlichen. Ein Thema, mit dem Dentalhygienikerinnen häufig konfrontiert werden. Für die diplomierte Ernährungsberaterin Sylvie Borloz vom Kinderspital des CHUV, Lausanne, korreliert der steigende Konsum von Süssgetränken mit dem wachsenden Übergewicht, indiziert aber nicht zwingend Karies, die durch Mundhygiene und Fluoridierung zurückgegangen ist. Hingegen führen diese Getränke verstärkt zu Erosionen. Mit gesünderer Ernährung zur Kariesprophylaxe liesse sich auch Übergewicht vermeiden.

Vitamin D – wissenschaftlich aktuell
Einen vielbeachteten Vortrag hielt Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari, Leiterin Zentrum Alter und Mobilität, Universität Zürich. „Vitamin D: Einfluss auf Knochen und Zahngesundheit“ lautete der eher trockene Titel. Dabei erlebt Vitamin D als „verkanntes“ Multitalent ein wissenschaftliches Revival. Für ihren Beitrag zur Volksgesundheit über die gesundheitsfördernde Wirkung von Vitamin D bei älteren Menschen wurde die SNF-Förderungsprofessorin mehrfach ausgezeichnet.

Was hat das mit Zahngesundheit zu tun? Die Studien von Prof. Bischoff-Ferrari zeigen die neu erkannte und bewiesene anti-entzündliche und immun-modulatorische Wirkung von Vitamin D und damit einhergehend der Rückgang des Gingivitis-Risikos unter Vitamin D-Substitution. Eine randomisierte Studie bei über 400 älteren Personen vergleicht den Attachmentverlust bei Frauen und Männern älter als 50 Jahre mit niedrigem und hohem 25(OH)D-Spiegel. Frauen in der untersten Spiegel-Gruppe verloren 0,26 Millimeter Attachment, verglichen mit Frauen in der höchsten 25(OH)D-Spiegel-Gruppe. Bei den Männern lag der Verlust gar bei 0,39 Millimetern.

Die Kernaussagen

  • Vitamin D schützt Knochen und wirkt antibakteriell, entzündungshemmend und immun-modulierend.
  • Bei niedrigem Vitamin D-Spiegel erhöht sich das Gingivitis- und Parodontitis-Risiko.
  • Neben der präventiven Wirkung von Vitamin D auf Knochenbrüche weisen verschiedene Studien auch auf einen schützenden Effekt für die Zahngesundheit hin. Die Vitamin D-Substitution bei Menschen über 60 trägt zur Knochenbruch- und Sturzprävention bei. Da die Knochendichte an Hüfte und Wirbelsäule mit der Knochendichte am Kiefer korreliert, lässt sich auch ein positiver Effekt auf die Zahnverankerung ableiten.
  • Um gar 90 % reduzierte sich das Infektionsrisiko bei Hüftprothesenpatienten.
  • Gerade in der dunklen Jahreszeit ist eine Supplementation indiziert. Vor allem ältere Menschen und Kinder gehen weniger ins Freie und können somit weniger Vitamin D bilden.
  • Eine Jahrestherapie ist sehr güns­tig – keine 100 Franken – der gesundheitliche Nutzen dagegen enorm. Nur schon bei der Sturzprävention könnten mehrere Millionen Franken gespart werden, denn 60 % der Hüftfraktur-Patientinnen und -Patienten leiden an einem schweren Vitamin D-Mangel.

Reflux und Erosion
Über die Gastroösophageale Refluxkrankheit (GER), die u. a. als Verursacherin von Erosionen gilt, sprach Dr. med. Clive H. Wilder-Smith, Bern. Er ging auf die verschiedenen Formen und Ursachen der Ösophagitis ein. Neben endogenen gibt es auch eine Reihe exogener Faktoren, die GER begünstigen. Dazu gehören, gewisse Nahrungsmittel und Übergewicht. Mehr als 25 % der Patienten mit dentalen Erosionen haben GER und mehr als 20 % mit einer GER entwickeln dentale Erosionen. Diese Zusammenhänge gehören zur Differenzialdiagnose einer Erosion.

Remineralisierungstherapien – neuester Stand
Dr. Klaus Neuhaus, ZMK Bern, referierte über: Moderne Remineralisierungstherapien – die neuen Wundermittel? Frühere Untersuchungen ergaben, dass initiale kariöse Läsionen (Kreideflecken, White Spots) nicht zwingend zu Kavitäten führen. Gute Mundhygiene können diese über Jahrzehnte stabilisieren oder sie verschwinden mit der Zeit. Der Speichel selbst remineralisiert demineralisierte Zahnhartsubstanz. Die Speichelfliessrate kann durch Kaugummi um das Zweifache erhöht werden. Bei CPP-ACP um den Faktor 4–7.

Dr. Neuhaus stellte Fluorid neueren Remineralisierungsmethoden wie CPP-ACP (Caseinphosphopeptid – amorphes Calciumphosphat) gegenüber. Sein Fazit: Fluorid ist der Goldstandard für die Remineralisation. Schmelzrepair mit nanokristallinem Hydroxylapatit ist derzeit nicht möglich und im Einzelfall kann bei Karies­risikopatienten über den zusätzlichen Einsatz von CPP-ACP nachgedacht werden.

Ausgewogene Ernährung?
Die dipl. Ernährungstherapeutin Beatrix Rheiner-Syz, Binningen/BL ging auf einen wichtigen Aspekt der Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen und deren Auswirkung auf die Mundgesundheit ein. Wer ernährt sich noch „ausgewogen“? Halbfertig- und Fertiggerichte, der schnelle „Burger“, das ist die Realität. Karies, brüchige Zähne, Gingivitis, Parodontitis, Schleimhautläsionen und Aphthen sind neben Bakterien die Folge von Vitamin- und Mineralstoffmangel. Um das für die Zähne so wichtige Kalzium herauszugreifen: Die Resorption dieses Minerals wird beeinträchtigt durch phosphathaltige Lebensmittel wie Softdrinks und Wurst oder oxalathaltige wie Schokolade, Nuss-Nugat-Aufstriche, Gerbsäure in Tee und Kaffee, Phytinsäure in Getreide sowie Medikamente (Antidiabetika, „Pille“, Antazida, Diuretika). Dazu kommt der Bewegungsmangel.

Wie essen und wie nicht?
Licht in den Dschungel der Ernährungsempfehlungen – Was ist sinnvoll und was nicht? – brachte Prof. Dr. Wolfgang Langhans von der ETH Zürich. Er hielt einen hochspannenden Exkurs über die Steuerung von Hunger und Sättigung. Nicht wirklicher Hunger, die Lust am Essen ist der stärkste Antrieb zur Nahrungsaufnahme. Dabei wird das ernährungsphysiologische Wissen oder der Gesundheitsaspekt gerne vergessen. Das Sättigungsgefühl stellt sich bei energiedichten Speisen später ein als beim Verzehr von Speisen mit geringer Energiedichte. Die Folge: wir nehmen mehr Energie auf als wir verbrauchen. Von monotonen Diäten hält der Wissenschaftler nichts. Leicht zu beeinflussen sind zum Beispiel: Die Energiedichte, die Portionen, Zwischenmahlzeiten, Bewegung. Anstelle der Verhaltenskontrolle wäre eine Verhaltensprävention zum Beispiel des Essens in Kindergärten, Schulen, Kantinen wünschenswert.

Tipps für ein langes Leben
Unterhaltsam und aufmunternd präsentierte Dr. med. Dipl.-Ing. Roland Ballier, Leitender Arzt am Fachkurhaus Seeblick in Berlingen/TG seinen Vortrag über den Zusammenhang von Lebensstil, Prävention und Zivilisationskrankheiten. Dr. Ballier befasst sich mit Komplementär- und Präventivmedizin, insbesondere mit orthomolekularen und Anti-Aging - Aspekten. Er zeigte labordiagnostische Methoden zur Früherkennung des Herz-Kreislauf-Risikos und verglich schul- und komplementärmedizinische Theorien und Strategien zur Vermeidung von HK-Erkrankungen. In seinen Empfehlungen spielt die Omega-3-Fettsäure eine tragende Rolle, denn Fischöl sei einem Statin überlegen. Kernsätze und Studien aus seinem Buch „Lebst Du noch oder stirbst Du schon? 100 todsichere Tipps für ein langes Leben“ rundeten den erfrischenden Vortrag ab.

Hormonelle Einflüsse
Ein Thema, das die Teilnehmerinnen in zweifacher Hinsicht interessierte: Hormonelle Veränderungen – nur ein Frauenproblem? Wie diese das Leben und Empfinden bestimmen, schilderte Dr. med. Katharina Schiessl, Oberärztin am USZ, bezogen auf die Altersstufe und den Unterschied zwischen Frau und Mann. Östrogene beeinflussen das Bindegewebe des Zahnfleischs sowie den Folsäuremetabolismus der Mundschleimhaut. Progesteron wirkt auf die lokale Durchblutung der Mundgewebe und entzündliche Immunreaktionen. Der weibliche Zyklus verändert die Mundflora nicht. Sexualhormone hingegen erhöhen die Entzündungsbereitschaft der Gingiva, vor allem wenn bereits eine Entzündung besteht.

Mangelernährung erkennen
Ernährung in Extremis. Caroline Kiss, dipl. Ernährungsberaterin, Unispital Basel, und Dr. med. dent. Christina Luzi, UZM Basel, informierten über Ernährungsprobleme bei Patienten in schlechtem Gesundheitszustand. Mangelernährung kommt in dieser Patientengruppe häufig vor. Hier sind der Zahnarzt und die Dentalhygienikerin gefordert, orale und extraorale Symptome einer Mangelernährung zu erkennen und eine Verdachtsdiagnose zu stellen. Zungenbrennen, Zungenrötung, Mundwinkelragaden, Mundtrockenheit, Wundheilungsstörungen sind einige der typischen Krankheitsbilder. Dieser Vortrag ergänzte sich mit dem Referat von Prof. Dr. Frauke Müller, SMD der Uni Genf, die provokativ fragte: „ Braucht der Mensch Zähne?“ Sie ging dabei ein auf die Wechselwirkung zwischen Zahnstatus und Ernährung älterer Patienten. Die psychologischen und psychosozialen Faktoren von Zahnverlust spielen eine Rolle in der Ernährung. Die Ästhetik steht meistens nicht mehr im Vordergrund, sondern wie passt man eine Prothese altersgerecht an unter Berücksichtigung des kognitiven und physischen Zustands der Patienten.

Für eine vernetzte Zahnmedizin
Prof. Christian Besimo, Aeskulap-Klinik Brunnen, formulierte seine Anforderungen an das zahnmedizinische Team. Im ärztlichen Sehen, Denken und Handeln sieht er die Zukunft der oralen Medizin als eng vernetzten Teil der allgemeinen Gesundheit. Der gesellschaftliche Umbruch und die demografische Entwicklung stellt die Zahnmedizin vor völlig neue Aufgaben, so Prof. Besimo. Multimorbidität, Polypharmazie und Malnutrition älterer und vor allem hochaltriger Menschen werden heute in der Praxis kaum berücksichtigt. Hier ist die intensive interdisziplinäre Vernetzung zwischen Zahnmedizin und Medizin sowie angrenzender Fachgebiete gefordert.
Wie klug das Programm gewählt war, zeigte sich daran, dass nur wenige Teilnehmerinnen das vorzeitige Wochenende dem Kongress­ende vorzogen.

Im nächsten Jahr treffen sich die Swiss Dental Hygienists zu ihrem 36. Jahreskongress vom 11. bis 12. November 2011 in St. Gallen.

(Erschienen in Dental Tribune Swiss Edition 12/2010)

To post a reply please login or register
advertisement
advertisement