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Zahnschmelz analysiert: Zähne aus dem frühen Mittelalter

Bei der Untersuchung hat man die Isotopenverhältnisse gemessen, die im Zahnschmelz gespeichert sind. © Xanthius – stock.adobe.com
Universität Basel

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Mo. 21 August 2023

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BASEL – Wer lebte vor rund 1500 Jahren im Raum Basel? Woher kamen diese Menschen und wie ernährten sie sich? Die Archäologin Margaux Depaermentier sucht Antworten und findet sie unter anderem im Zahnschmelz von Skeletten.

Margaux Depaermentier hält einen Schädel in ihren Händen, in dem noch einige Zähne stecken. Er gehört zu einem gut erhaltenen Skelett, das im Untergeschoss des Naturhistorischen Museums Basel auf einem Tisch liegt. Es stammt von einem Gräberfeld auf dem Gebiet des heutigen Kleinhüningen, am rechten Basler Rheinufer, wo ab Mitte des 5. bis ins 7. Jahrhundert n. Chr. Menschen bestattet wurden.

Depaermentier interessiert sich ganz besonders für die Zähne: Aus ihnen kann die Forscherin Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen eines Menschen ziehen. «Zähne sind sozusagen lebende Fossile», sagt die Archäologin. Sie entstehen in der Kindheit und bleiben im Laufe des Lebens stabil; anders als Knochen erneuern sich nicht laufend und sie werden auch nicht porös, wenn sie über Jahrhunderte in der Erde liegen. Deshalb liefern die im Zahnschmelz enthaltenen Isotopenverhältnisse den Forschern zuverlässige Informationen.

Basel als Schmelzpunkt verschiedener Kulturen

Im Rahmen ihrer Doktorarbeit in Provinzialrömischer Archäologie befasst sich Depaermentier mit der frühmittelalterlichen Sozialstruktur in Basel und ist damit auch eingebunden in das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierte Projekt «Mobilität, Sozialstrukturen und Lebensweise im spätantiken Basilia und im frühmittelalterlichen Bazela». Die Forschenden wollen ein Bild davon bekommen, wie die Leute im Raum Basel zwischen 300 und 700 n. Chr. lebten und woher die Menschen stammten, die auf beiden Seiten des Rheins wohnten. 100 bis 150 Skelette aus dem Raum Basel liefern die nötige Daten dafür.

Der gewählte Zeitraum ist aus zwei Gründen besonders interessant: Erstens war das die Zeit der sogenannten Völkerwanderung, es fanden also viel Migrationsbewegungen statt. Zweitens war der Rhein bei Basel zwischen 260 und 475 n. Chr. der Limes – also die Grenzlinie zwischen Römischem Reich und barbarischem, das heisst nicht-römischem Territorium. «Nahe beieinander lebten Menschen mit unterschiedlichem kulturellen und politischen Hintergrund», sagt Depaermentier. So gab es in der Region viele kleine Siedlungen und entsprechende kulturelle Vielfalt. Im Raum Kleinhüningen lebten laut Schriftquellen «Alamannen», «Donau-Sueben» und ab dem 6. Jahrhundert auch «Franken». «Wir gehen aber davon aus, dass es unter den verschiedenen Siedlungen Netzwerke und auch kulturellen Austausch gab.»

Basel sei damit ein guter Ort, um Fragen zu testen, die sich Archäologinnen und Anthropologen überall in Europa stellen: Wie können wir frühmittelalterliche Mobilität und politische beziehungsweise kulturelle Veränderungen definieren? Inwiefern unterschieden sich die Lebensbedingungen innerhalb des Römischen Reichs gegenüber jenen ausserhalb der Grenzen?

All dies erzählt die 28-Jährige lebhaft, sie dreht und wendet die ausgelegten Knochen in den Händen, um sie genau zu betrachten. Dieses Skelett aus Kleinhüningen ist fast vollständig vorhanden. Das ist in Basel für diese Zeit selten. Die Faszination und Begeisterung für ihr Forschungsgebiet sind deutlich spürbar. «Ich interessiere mich nicht nur für die Daten und deren Auswertung, sondern auch für die Weiterentwicklung der Methoden und ihre Anwendungsmöglichkeiten.» Auch die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, insbesondere die Umweltwissenschaften, findet sie spannend. Ausserdem liegt ihr die Vermittlung ihrer Erkenntnisse an ein öffentliches Publikum am Herzen. «Wir Forschenden können so der Bevölkerung etwas zurückgeben», sagt sie. Das sei für sie auch Motivation, beim Projekt Stadt.Geschichte.Basel mitzuwirken. «Die Leute interessieren sich für ihre eigene Geschichte, für ihre Wurzeln.» Depaermentier selbst ist im Elsass aufgewachsen ist, studiert hat sie in Paris, Strassburg, und Freiburg im Breisgau.

Der Zahnschmelz berichtet aus der Vergangenheit

Im Projekt arbeiten Forschende aus verschiedenen Disziplinen und Institutionen zusammen. Beispielsweise analysiert eine Anthropologin der Integrativen Prähistorischen und Naturwissenschaftlichen Archäologie (IPNA) die Skelette, Radiokarbondatierungen der ETH Zürich geben Aufschluss darüber, wann die Menschen ungefähr gestorben sind, und ein Geograf der Universität Kiel modelliert die damaligen Landnutzungsstrategien anhand von Klima- und Umweltdaten. Das ist wichtig, um zum Beispiel einzuschätzen, wo und wie die Menschen Landwirtschaft betreiben konnten. Auch die Kohlenstoffisotopen geben Hinweise darauf, welche Pflanzen den Menschen als Nahrung dienten.

Margaux Depaermentier selber misst die Isotopenverhältnisse, die im Zahnschmelz gespeichert sind. Im Masterstudium hat sie begonnen, sich selbständig mit den Methoden der Isotopenanalysen zu befassen – aber nur theoretisch. Nach dem Abschluss sammelte sie im Rahmen eines Laborpraktikums am IPNA praktische Erfahrungen und kam so auch zu ihrem Dissertationsprojekt. Für die Analyse zerreibt sie die Zähne zu Pulver und untersucht sie im Labor der IPNA. Aufschluss über die Herkunft einer Person gibt vor allem das chemische Element Strontium, das sich in Knochen und Zähnen ablagert. Seine Isotopenverhältnisse sind unter anderem abhängig von den Gesteinen der Umgebung. Kohlenstoffisotopen im Zahnschmelz lassen Rückschlüsse auf die Ernährung zu. «Wenn Menschen zum Beispiel ein bestimmtes Getreide auf dem Speiseplan hatten, das im Raum Basel nicht angebaut werden konnte, weil das Klima ungeeignet war, ist möglich, dass jemand zugewandert ist», erklärt Margaux Depaermentier. «Hirse etwa wächst eher unter anderen klimatischen Bedingungen als Weizen oder Roggen.»

Mit der Migration entstand auch Austausch zwischen lokaler Bevölkerung und Zugezogenen. Letztere wurden mitunter auch mit in den lokalen Praktiken bestattet. DNA-Analysen liefern Informationen über die Abstammung einzelner Individuen, zeigen aber auch biologische Verwandtschaftsbeziehungen auf. Wenn eine ethnische Durchmischung stattgefunden hat, könnte man eine gelungene Integration vermuten.

Mit dem Velo durch Europa

Mit ihrer Doktorarbeit steht Margaux Depaermentier kurz vor dem Abschluss, im September ist deren Verteidigung. Bevor es so weit ist, wird Depaermentier gemeinsam mit ihrem Partner selbst auf Reisen gehen – mit dem Velo. «Vermutlich zuerst mal über die Alpen nach Italien und dann vielleicht bis nach Ungarn und zurück über Tschechien, wo wir eine Zeitlang zusammen gewohnt haben.»

Draussen in der Natur sein und sich bewegen, das ist für sie ein wichtiger Ausgleich zu ihrer Arbeit im Labor und am Computer. Seit Kurzem ist sie zudem Mitglied im Science Slam Club der Universität Basel. Mit dieser humorvollen Vermittlung ihrer Forschung kann sie eine andere grosse Leidenschaft, das Schauspiel, mit der Bioarchäologie verbinden.

Der Wissenschaft will sie nach Abschluss ihrer Diss treu bleiben und vorerst als PostDoc weiter im SNF-Projekt arbeiten. Arbeit gibt es genug: In einer späteren Projektphase wollen die Forschenden die Skelette von Tieren untersuchen, die mitunter als Speisebeigabe zusammen mit den Menschen bestattet wurden. «Wenn Tiere nicht importiert wurden und in der Umgebung der Siedlung geweidet haben, geben ihre Isotopenverhältnisse ein lokales Bild ab», so Depaermentier.

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