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Diagnose MIH: Kindern bröckeln die Zähne weg

Kinderzahnärzte in Unruhe: MIH auf dem Vormarsch? © Kadmy - Fotolia.com
Redaktion, Quelle: 20 Minuten

Redaktion, Quelle: 20 Minuten

Di. 7 Januar 2014

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ZÜRICH – Ein beängstigendes Phänomen beschäftigt derzeit Kinderzahnärzte. Sie behandeln immer öfter Kinder mit spröden, porösen und braunen Backenzähnen. Niemand weiss, was dahintersteckt. Betroffene Kinder bedürfen einer besonderen zahnärztlichen Betreuung. Dr. med. dent. Rolf Ammann aus Zürich stellt sich den Fragen.

Die Bezeichnung für dieses Krankheitsbild – Molar-Incisor-Hypomineralization (MIH) – wurde erst 2001 auf der Tagung der European Academy of Paediatric Dentistry vorgeschlagen und seitdem einheitlich verwendet.

Herr Ammann, wie schlimm ist das Phänomen der bröckelnden Zähne bei Kindern?

Die Situation ist etwas unheimlich. Wir beobachten dieses Phänomen seit mehreren Jahren mit Besorgnis. Immer mehr Kinder weisen Milchzähne und im Alter von sechs Jahren Backenzähne auf, die bereits braun verfärbt und porös durchbrechen.

Wovon sprechen wir genau?

Die Krankheit nennt sich MIH, Molaren-Incisiven-Hypoplasie. Das ist grundsätzlich eine Reifungsverzögerung des Zahns, der letzte Reifungsschritt findet nicht statt. Der Schmelz hat zu viele organische Bestandteile und der Zahn erscheint im Mund mit zu wenig Kalzium. Die betroffene Person hat aber sonst keinen weiteren Kalziummangel.

Und wie viele Kinder sind davon betroffen?

In meiner Praxis zeigen mindestens 30 Prozent der Kinder das Krankheitsbild MIH. Beim grössten Teil sind die Konsequenzen aber harmlos. Sie haben lediglich weisse oder gelbe Wölkchen auf den Zähnen. Bei diesen Kindern findet der letzte Reifungsschritt der Zähne im Mund statt und sie merken vom ursprünglichen Defekt nichts mehr.

Aber?

Aber bei einigen Kindern ist die Situation katastrophal. Sie haben eine dermassen starke Ausprägung, dass die ersten Backenzähne massiv überempfindlich sind. Sie können kaum richtig essen und auch keine adäquate Mundhygiene betreiben. Manchmal sind die Zähne so instabil, dass man sie nicht mehr reparieren kann. Wir müssen den Zahn ziehen, was dann zu kieferorthopädischen Folgeproblemen führt.

Und was steckt hinter dieser Krankheit?

Das weiss niemand. Weltweit wird geforscht. Wir haben den Eindruck, dass dieses Phänomen vor allem in industriellen Ländern vermehrt auftritt.

Aber es gibt bestimmt Theorien?

Ja, natürlich viele. Aber keine macht wirklich Sinn.

Inwiefern?

Viele Substanzen wurden untersucht. Ursprünglich das Dioxin, aber auch alle Antibiotika, neuerdings auch das Bisphenol A. Es konnte aber bisher keine eindeutige Zuordnung gefunden werden.

Und was geht bei diesen Theorien nicht auf?

Sie scheitern alle an derselben Frage: Wieso sind nur die ersten Backenzähne betroffen und die folgenden Zähne nicht? Nehmen wir an, Bisphenol A ist ein möglicher Grund. Das heisst, Kleinkinder trinken aus Flaschen, lutschen an Schnullern und essen von Geschirr, das diesen Weichmacher enthält. Wenn Bisphenol A tatsächlich MIH auslösen würde, dann wären auch zu einem späteren Zeitpunkt verkalkende Zähne betroffen.

Und was bedeutet das jetzt für die Zukunft?

Wir können nur hoffen, dass man in der Forschung bald vorankommt und die Ursache herausfindet. Die Situation ist ernst zu nehmen. Das Problem ist nicht nur das ungelöste Rätsel um die kaputten Zähne selbst.

Was noch?

Einerseits ist es für das Kind eine grosse Stresssituation. Weil die Kinder vom Ausmass der Behandlungsnotwendigkeit überfordert sind, brauchen sie manchmal schon im Alter von sechs Jahren eine Vollnarkose und verlieren ihre ersten bleibenden Zähne. Andererseits machen sich die Eltern Vorwürfe, fragen, was sie falsch gemacht haben. Und wir können es nicht sagen, weil wir es selbst nicht wissen. Dazu kommt der finanzielle Aspekt. Die Krankenkassen übernehmen die Zahnarztkosten nicht, weil dieses Problem im Katalog der Pflichtleistungen nicht aufgeführt ist. Eine starke Ausprägung von MIH kann eine Sanierung in Vollnarkose nötig machen, was leider für die Eltern mit hohen Kosten verbunden ist.

Kontakt
Dr. med. dent. Rolf Ammann
Breitingerstrasse 35
8002 Zürich
Schweiz
ammann.rolf@swissonline.ch

* Rolf Ammann führt eine Kinderzahnarztpraxis in Zürich und ist Lehrbeauftragter an der Universität Zürich.

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