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Implantologie-Gesellschaft tagte in Zürich

In der Filmarena der Sihlcity Zürich tagte die Schweizer Gesellschaft für Implantologie (SGI). (Foto: Sihlcity)
Dr. Lothar Frank

Dr. Lothar Frank

Do. 9 Dezember 2010

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ZÜRICH - Im ungewöhnlichen Rahmen der Zürcher Arena Filmcity im Sihlcity empfing die Schweizerische Gesellschaft für orale Implantologie (SGI) am 12. und 13. November 2010 zu ihrer 27. Jahrestagung.

Unter dem Thema „Von der biologischen Basis zum klinischen Erfolg – brisante Fragen aus der aktuellen Implantologie“ luden Dres. Rino Burk­hardt (Präsident Wissenschaftliche Kommission) und Dr. Claude Andreoni (Präsident) zu einem spannenden Kongressprogramm.

Weichteilheilung im Fokus
Als ersten Redner und zur Klärung, welche biologischen Vorgänge für die Weichteilheilung von Bedeutung sind, war Prof. Peter Vogt aus DE-Hannover angereist. Vogt stellte zu Beginn die Grundmechanismen kutaner Heilung vor: Bindegewebsneubildung, Epithelialisierung und Wundkontraktion. Bei stabiler Abwehrlage und Durchblutung funktionieren diese Vorgänge gut. Je schneller sich die Heilung vollzieht, desto weniger bis keine Narbenbildung ist zu erwarten. Mit einem Anflug von Neid erwähnte Vogt, dass an der oralen, feuchten Mukosa im Vergleich zur trockenen Haut mit einer hundertprozentigen Heilung zu rechen ist, im Gegensatz zu 40 Prozent an der Haut, die mit einer stärkeren Entzündung reagiert.

Am Anfang der Heilung stehen Keratozyten, die Vorstufen von Kollagen ausscheiden, womit die Reparation beginnt. Molekularbiologisch sind u. a. Stoffen Prokollagen und Tenascin beteiligt. In der oralen Mukosa ist dabei der Anteil an Prokollagen weniger, der Anteil an Tenascin höher und länger anhaltend, was man als Hauptunterschiede der Gewebsneubildung im Vergleich zur Haut sieht. Mit diesem molekularbiologischen Wissen lassen sich in der Zukunft vielleicht durch Nanobeschichtung von Implantaten und Transplantaten chirurgische Eingriffe verbessern.

Optimale Schnittführung
In ähnlichem Stile ging es im Referat von Prof. Johannes Kleinheinz aus DE-Münster weiter. Auch er betonte, dass die Wundheilung einem strengen chronologischen und hierarchischen Ablauf untergeordnet ist und keinerlei Beschleunigung ermöglicht. Als Leitschiene zu seinem Thema „optimale Schnittführung und Lappendesign“ gab er drei Prinzipien in absteigender Reihenfolge vor:
1. Versorgungsprinzip (möglichst wenig Gefässverletzung)
2. Spannungsfreiheit
3. Ästhetik.

In Ermangelung tauglicher Studien verwies Kleinheinz auf das Repetieren der Anatomie. Denn wer die Gefässverläufe kennt, kommt zu dem Schluss, dass die Blutversorgung stets von posterior nach anterior, parallel zum Alveolarfortsatz, verläuft. Ohne diese Versorgungsverläufe zu kreuzen sollte die Schnittführung bzw. das Lappendesign erfolgen. Von Trapezlappen rät er deshalb generell ab. Zusammenfassend schließt er, dass die Schnittführung horizontal möglichst auf dem Alveolarfortsatz erfolgen sollte, vertikal möglichst midcrestal (Mitte des Kiefers), nicht transcrestal. Es sollten marginale Inzisionen erfolgen, Entlastungen vermieden werden, und wenn, dann am Übergang von Angiosomen. Unbedingt sollte eine Dehnung des Gewebes vermieden werden, bei Bedarf Periost schlitzen. Ferner sollte vor der OP vorausgedacht werden, wie man auf Komplikationen reagieren kann, die doch einer Erweiterung des OP-Gebietes bedürfen. Bei beweglicher Schleimhaut immer bedenken, dass hier eine narbige Abheilung nicht vermieden werden kann.

Platform-Switching: Ein Marketinggag?
Im Anschluss daran sollte Dr. Dietmar Weng, DE-Starnberg, Aufschluss darüber geben, ob Platform-Switching nur ein Marketinggag sei oder ein ernst zu nehmender Ansatz, Periimplantitis zu vermeiden: Die Problematik ist bekannt, der Mikrospalt gilt als Kern des Übels, wodurch der Implantat­innenraum von Bakterien besiedelt wird. Bei Belastung des Implantates entsteht ein Pumpeffekt mit Keimverbreitung in die Umgebung. Dadurch entstehende Entzündung bewirkt Knochenverlust. Eine Versiegelung der Implantatschulter ist unmöglich und auch das Einbringen eines Füllstoffes hält er nicht für Erfolg versprechend.

Die vorliegenden Studien zeigen kontroverse Ergebnisse, Platform-Switching, oder bei manchen Herstellern gar ein Versatz, von Weng als Platform-Shifting bezeichnet, können die Periimplantitis nicht vermeiden. Als Fazit schliesstWeng, dass ein Umdenken der „biologischen Breite am Implantat“ vollzogen werden muss und fordert einen Abstand von 3 mm zwischen Knochen und Implantatschulter. Das Remodelling am Knochen beginnt ab der Freilegung des Implantates und sollte von möglichst wenig Abutmentwechsel gefolgt werden.

Kriterien für implantatgetragenes Provisorium
Am Nachmittag eröffnete Dr. Horst Dieterich, DE-Winnenden, das Plenum. Als ursprünglich gelernter Zahntechniker titelte er seinen Vortrag: „Welche Kriterien muss ein implantatgetragenes Provisorium erfüllen?“ Dieterich unterschied zunächst zwischen anspruchsvollen Fällen mit hoher Lachlinie und dünnem Gingivatyp sowie weniger problematischen Fällen, die er aus wirtschaftlichen Gründen ohne besonderen Mehraufwand löst. Bei den schwierigeren Fällen geht er nach dem Motto vor, alles zu tun, was man kann. Er setzt dann vor der Zahnextraktion auf kieferorthopädische Extrusion und Socket prevention vor der verzögerten Implantation. Bei der Freilegung nutzt Dieterich mittels Envelope-Technik frei werdende Gingiva zur bukkalen Unterstützung. Dann beginnt er mit einem sogenannten „Essex-Provisorium“, einer Schiene, die ähnlich eines Mock-ups getragen wird und den fehlenden Zahn ersetzt. Bei Bindegewebstransplantation aus dem Gaumen kann diese Schiene auch palatinal decken. Nach vier Tagen stellt Dieterich auf eine Drahtklammerprothese um, bei der die Basis des Ersatzzahnes auf leichten Kontakt mit der Gingiva reduziert wird. Die Gestaltung des Ersatzzahnes richtet sich stets nach dem Ausmass, das am Gipsmodell zu sehen ist. Das Provisorium sieht er als Leitschiene für das abheilende Weichgewebe. Zu bedenken gibt er, dass dieser Mehraufwand solche Behandlungen in der Wirtschaftlichkeit stark beschneidet.

Von Abutmentverbindungen bis „Zementitis“
Der für ästhetisch anspruchsvolle Rekonstruktionen renommierte Dr. Konrad Meyenberg aus Zürich referierte über Abutmentverbindungen, -formen und -materialien: Auch er dementierte sofort, dass den konischen Abutmentverbindungen eine Dichtigkeit gutgesprochen werden kann. Ausserdem kommt hinzu, dass ihre Verbindungen nicht genau (Lage-)definiert sind und vom Drehmoment abhängige Festigkeit besitzen. Für Provisorien verwendet er nie Kunststoff, beim definitiven Abutment gibt er an, dass die Gingivadicke 3 mm betragen muss, um ein Durchschimmern des Metalls zu verhindern, also Zirkonabutments anzuraten sind. Zirkonabutments können jedoch bei Lockerung der prothetischen Schraube erheblichen Schaden verursachen: bei Beweglichkeit können Abutment, Befestigungsschraube oder auch Implantatschulter brechen. Die allgemein zu beobachtende, zunehmende Zurückhaltung gegen­über zementierten Kronen auf Implantaten wegen „Zementitis“ entspricht ebenfalls der Meinung Meyenbergs. Beim „Smart design“ von langen Abutments und dünnen Hälsen zeigt er sich kritisch aufgrund der Hebelgesetze. Seiner Ansicht und Erfahrung ist ein „Smart engineering“ wichtiger, da Versorgungen nach individueller Planung entstehen und Reaktionsmöglichkeiten bei Komplikationen offen sein sollten.

Solches Smart engineering trifft sicher auch auf Keramikimplantate zu, über die keiner so referieren kann wie Prof. Ralf Kohal, DE-Freiburg im Breisgau! Mit schwäbischer Ironie sprach er wegen fehlenden klinischen Daten, Richtlinien und (Langzeit-)Erfolgen von einem Fiasko für die Praxis. Neben seinen Studien berichtete er auch von vielen eigenen, älteren Fällen, für die er die Implantate „selbst in der Garage geschliffen hat“. Zu seinem grossen Bedauern ist er aber im Gegensatz zu Bill Gates, der ja auch mal in der Garage angefangen hat, nicht steinreich geworden.

Implantologische Studien­ergebnisse und Vergleiche
Dr. Otto Zuhr, DE-München, hielt seinen Vortrag über die ideale Verbindung zwischen Implantat und Weichgewebe. Er konnte zwar nicht anhand von Studienergebnissen Empfehlungen formulieren, doch mit einigen Tipps aufwarten: So postuliert auch er, die biologische Breite des Zahnes auf das Implantat zu übertragen. Auch empfiehlt er keratinisierte Gingiva um das epi- oder leicht suprakrestal gesetzte Implantat mit maschinierter Schulter.

Die Frage, ob okklusale Belastung einen Einfluss auf das Überleben eines Implantates hat, sollte Prof. Sandro Palla, Zürich, ausarbeiten. Seine Antwort fiel klar aus: solange das Implantat entzündungsfrei ist, spielt die okklusale Belastung keine tragende Rolle, führt aber bei vorliegender Entzündung zu einem schnelleren Verlust. In seinem Schlusswort betont auch er die Wichtigkeit biomechanischer Faktoren und der Hygienefähigkeit der Prothetik.

Am Samstag wartete Prof. Bjarni Pjetursson, IS-Reykjavik, mit interessanten Vergleichen zwischen Zähnen und Implantaten auf: Die Überlebensrate eines kariesfreien und parodontal gesunden Zahnes beträgt 99,5 % über 50 Jahre! Und selbst nicht gesunde Zähne bleiben mit einer Wahrscheinlichkeit von 63 % erhalten. Diesem Vergleich hält das Schraubenimplantat auf 5 Jahre knapp stand (ca. 97 % bei älteren Studien), Zylinderimplantate weniger.

Er schloss mit der Weisheit „Implants are supposed to replace missing teeth!“ seinen Vortrag. Den Höhepunkt des Tages markierte Prof. Niklaus Lang, Hongkong. Der Vortrag sollte Aufschluss darüber geben, welche klinisch messbaren Variablen es gibt, um Implantaterfolge zu messen. Zwar ist die sichtbare Stabilität kein guter Indikator, doch mit dem neuen Ostell®-Gerät sieht er eine gute Messbarkeit der Osseointegration und empfiehlt, nach 3 und 8 Wochen zu messen. Bezüglich des Weichgewebes warnt er, dass BOP nur mit 30 % Wahrscheinlichkeit ein Anzeichen von Entzündung ist. Ab 6 mm Sondierungstiefe ist es indiziert, ein Röntgenbild anzufertigen. Wichtig ist dabei, Ausgangsröntgenbilder zum Vergleich heranziehen zu können.

PD Daniel Thoma’s Vortrag über die Möglichkeit der Vermeidung einer Rezession am Implantat war schon in der Einleitung beantwortet: es gibt sie nicht. Der wichtigste lokale Faktor besteht darin, das Implantat nicht zu weit bukkal zu setzen, da eine Knochendicke von 1,8 mm bukkal bestehen muss, weil hier am ausgeprägtesten Knochen resorbiert wird. Die biologische Breite am Implantat beziffert er auf 3,1 bis 3,6 mm. Bei Sofortimplantaten wirkt sich das Remodelling umfangreicher im Vergleich zu ausgeheiltem Knochen aus. Selbstverständlich kommen auch individuelle Faktoren (Gingivatyp, Mundhygiene, etc.) zum Tragen.

Bewährte Therapien aus der Praxis
Bei diesen Aussichten gut, dass Prof. Reiner Mengel, DE-Marburg, über den Einsatz von antimikrobiellen Substanzen gegen Periimplantitis berichtete: Leider führen Antiseptika aber zu keiner signifikanten Verbesserung, lokale und systemisch verabreichte Antibiotika hingegen schon. Mengel selbst verabreicht Augmentin, da eiterbildende Staphylokokken bei der Periimplantitis im Vergleich zur Parodontitis eine grössere Rolle spielen. Eine Dekontamination der Implantatoberfläche verspricht selten Erfolg.

So konnte Prof. Jürgen Becker, DE-Düsseldorf, nahtlos mit der chirurgischen und nichtchirurgischen Therapie anschliessen: Falls eine nichtchirurgische Therapie (mechanische Dekontamination, CHX, Reevaluation) fehlschlägt, rät er zur Kombination Er:YAG-Laser zur Dekontamination, Implantatplastik (Romeo 2005) und GBR. Vertikale Defekte sind aber nicht augmentierbar, und ab einem Knochenverlust am Implantat von zwei Dritteln empfiehlt er Explantation.

Ausblick
Damit endete der diesjährige Jahreskongress der SGI. Die früher euphorische Stimmung hat sich merklich zu mehr Nachdenklichkeit relativiert. Aus der modernen Zahnmedizin wegzudenken ist das Implantat dennoch nicht. Aber es wird immer klarer, wie wichtig die gewissenhafte Planung jedes individuellen Falles ist, wie auch dessen Nachsorge und die Individualprophylaxe.
 

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