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Zahnschäden, Zahnerkrankungen und Verunsicherung

Mit viel Engagement dabei: Die Referenten (v.l.n.r.) Prof. Dr. Dr. Nicolas Hardt, Luzern, Veranstalter Dr. Thomas Zumstein, Luzern, lic. iur. Bruno Peter, Concordia; Dr. iur. Alexander Weber, SSO-Sekretär, Bern; Edi Heusser, profunder Kenner des UVG, Luzern, Dr. Piero Dulio, Brig, beratender Zahnarzt, SUVA und diverser Krankenkassen. (Foto: Dr. Frank)
Dr. Lothar Frank

Dr. Lothar Frank

Mo. 19 Juli 2010

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LUZERN - Wer zahlt was, wann und warum nicht? Zwei Symposien der Zumstein Dental Academy schafften Klarheit im komplexen Verhältnis zwischen Leistungserbringer, Versicherer und Patient. Erster Teil eines Berichtes.

Offensichtlich herrscht „Verunsicherung“ über die Leistungspflicht des Versicherers. Diese lässt sich nicht immer genau abgrenzen, wenn verschiedene Schadensursachen zusammentreffen, wie zum Beispiel krankheits- und unfallbedingte Schäden, nicht versicherte oder selbstverschuldete Vorzustände. Die Liste ist noch lange nicht vollständig.

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Über 400 Zahnärzte, darunter auch viele Kantons- und Vertrauenszahnärzte, besuchten die beiden Symposien im KKL. Ziel der Veranstaltung war es, so Dr. Thomas Zumstein in seiner Begrüssung, durch die Anwesenheit von Versicherern, Kieferchirurgen, Vertrauenszahnärzten und Zahnärzten nicht nur Klarheit in die Gesetzesauslegung zu bringen, sondern auch zum Dialog untereinander anzuregen, was nach Ansicht der Teilnehmer auch gelungen ist.

Für das Krankenversicherungsgesetz (KVG) waren die Spezialisten Prof. Dr. Dr. Nicolas Hardt, Chefarzt em. der Klinik für MKG und Oralchirurgie am Kantonsspital Luzern, und lic. iur. Bruno Peter, Leiter Spezialleistungen der Concordia, Luzern, geladen. Als Spezialisten für das Unfallversicherungsgesetz (UVG) referierten der Privatpraktiker und Vertrauenszahnarzt Dr. Piero Dulio, Brigg und Edi Heusser, früher Leiter Versicherungsleistungen bei der SUVA, Edi Heuser. Als profunder Kenner der Materie kommentierte und beantwortete SSO-Sekretär Dr. iur. Alexander Weber Fragen des Podiums und aus dem Publikum.

Gratwanderung zwischen Effektivität und Effizienz
Edi Heusser sprach als erster Referent und führte unterhaltsam in das erwartungsgemäss trockene Thema ein. Die Aufgaben werden seiner Ansicht nach komplexer und fordern in kürzerer Zeit mehr finanziellen Aufwand. So entstehe eine ständige Gratwanderung für angebrachte Effektivität und passende Effizienz. Heusser mahnte, sich die geforderte Qualität, die durch die Kundenerwartung definiert ist, stets vor Augen zu halten. Es sollten sowohl Unterqualität durch nicht erfüllte Erwartung als auch eine Überqualität durch zu hohe Kosten vermieden werden. Er schloss seine Beurteilung mit den Worten: „Früher war es gut, heute ist es besser, aber besser, es wäre wieder gut.“

Nicht immer einer Meinung: Zahnarzt und Versicherer
Auch Prof. Hardt und lic. iur. Peter sehen ein schwieriges Verhältnis, allerdings weniger zwischen Patient und Versicherern als zwischen Arzt und Versicherer. Unterschiede in Sprache, Verständnis, Aufgaben und Ziele mündeten oft in Dissonanzen. Somit ergeben sich unterschiedliche Auslegungen von Krankenversicherungsgesetzt (KVG) und Unfallversicherungsgesetz (UVG).

Nicht immer klar, was klar erscheint
1996 trat das KVG in Kraft und übernimmt Zahnschäden bei verunfallten Personen, die nicht über den Arbeitgeber unfallversichert sind.

Artikel 31 des KVGs ist der wichtigste. In dessen Absatz 1 werden in lit. a. schwere, nicht vermeidbare Krankheiten abgehandelt, in lit. b. Allgemeinerkrankungen und deren Folgen, in lit. c. Behandlungen von Allgemeinerkrankungen und deren Folgen.

Auf das KVG Art. 31 stützt sich die Krankenpflegeleistungsverordnung (KLV). Hierin wird eine abschliessende Liste angegeben, welche Erkrankungen bzw. Folgen oder Behandlungsfolgen für die Versicherer leistungspflichtig sind. Artikel 17 KLV, in Anlehnung an KVG, Art. 1., lit. a., befasst sich mit schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems. Artikel 18 KLV stützt sich auf lit. b. des KVG Art. 31 und beschäftigt sich mit Allgemeinerkrankungen und deren Folgen. Artikel 19 der KLV regelt die Leistungspflicht bei der Behandlung von Allgemeinerkrankungen und deren Folgen.

Auch gut zu wissen, Art. 19 a KLV betreffend medizinischer Behandlungen, die nach dem 20. Lebensjahr erforderlich sind. Für den Patienten fällt dann allerdings der Selbstbehalt an. Werden Behandlungen vorher durchgeführt, gilt die Invalidenversicherung als zuständig.

Art. 32 des KVG bezieht sich auf die Beurteilung zahnärztlicher Leistungen nach den WZW-Kriterien: Wirksamkeit (als medizinischen Erfolg auf Kausalität), Wirtschaftlichkeit (bestes Kosten-Nutzen-Verhältnis) und Zweckmässigkeit (bestes Verhältnis zwischen Nutzen und Wirtschaftlichkeit). Dazu gibt es auch Gerichtsurteile des Bundesgerichts, die zum Schluss gekommen sind, dass Drahtklammer und Modellgussprothesen einer Implantatversorgung bezüglich der oben stehenden Forderungen vorzuziehen sind.

Ausserdem besagt das KVG, dass es sich ausschliesslich auf ärztliche, nicht auf zahnärztliche Leistungen bezieht. Wird bei einer Behandlung ein Zahnarzt hinzugezogen, ist dieser allerdings dem Arzt gleichgestellt. Grundsätzlich unterliegt der Zahnarzt der Pflicht, bei Abklärungen gegebenenfalls Un?terlagen zur Verfügung zu stellen. Die Abklärungskosten sind vergütungspflichtig.

Als praxisnahe Beispiele wurden folgende Fälle als leistungspflichtige ärztliche Leistungen angegeben:

– Abszess im Oberkiefer ausserhalb des Zahnhalteapparates mit Fistel
– Fibrom Wange ausserhalb des Zahnhalteapparates
– Entlastung des Kiefergelenks bei Tendomyopathie

Als zahnärztliche Leistungen:
– Implantate und Kronen bei bilateralem Distalbiss
– Extraktion Milchzahn und Brücke
– Amalgamsanierung bei neuraler Muskelatrophie

Als ärztliche und zahnärztliche Behandlungen:
– Umstellungsosteotomie bei Progenie mit Zwangsbiss und Schmerzen
– Michiganschiene/prothetische Behandlung bei Tendomyopathie und artikulärer Dysfunktion

Dank des abschliessenden Leistungskataloges der KLV sind zahlreiche Pathologien klar geregelt:

KLV 17 a 1, idiopathisches internes Granulom:
Voraussetzung:
– ohne erkennbare Ursache
– ohne Verbindung zur Zahnoberfläche
– zum Ausschluss iatrogener Ursache sollte ein Nachweis erbracht werden, dass innerhalb zweier Jahre vorher keine Restauration erfolgte.
Nachweis:
Radiologischer Befund, pathologische Untersuchung (extrahierter Zahn oder exstirpierte Pulpa), keine Vitalitätsprobe
Therapie:
konservierend, chirurgisch, restaurativ

Externes Granulom:
Keine Leistung KLV, auch das eventuell vorausgehende interne Granulom verpflichtet nicht zur Leistungserbringung.

KLV 17 a 2, Überzählige Zähne:
Voraussetzung:
Verlagerung und Überzahl Zähne mit Krankheitswert (wie Zysten, Schmerzen)
Aber: verlagert und retiniert definiert nicht gleich eine Pflichtleistung. Es besteht nur eine Pflichtleistung, wenn durch die unmittelbar angrenzende Pathologie einer schwerwiegenden Erkrankung umfangreiche Behandlungen indiziert sind. Sind die Beschwerden durch einfache Kappenexzision oder Prophylaxemassnahmen zu beheben, muss der Patient diese Kosten selbst übernehmen.
Als schwerwiegende Pathologien zählen: Logenabszesse, Zysten, Phlegmone, tiefe Taschen, Resorptionen, zystische Prozesse, Tumoren, Granulomatosen.
Umfang der Leistungspflicht:
– Operative Entfernung verlagerter Zähne
– Behandlung entsprechender Pathologie
Nicht in der Leistungspflicht:
– Zahnersatz
– Prophylaktische Entfernung
Zur Klarheit wurde auch die schwere Behandlung nach den SAC-Kriterien (simple, advanced, complicated) des chirurgischen Aufwandes genauer definiert:
So sind im Anspruch an den Behandler einfache, ambulante Behandlungen nicht leistungspflichtig. Fortgeschrittene, noch ambulant machbare, aber mit zu erwartendem Komplikationsrisiko behaftete Eingriffe sind ebenfalls nicht leistungspflichtig, sondern nur die schwierigen, mit hohen lokalen und systemischen Komplikationsrisiken vergesellschafteten Fälle. Damit entbehrt also die prophy?laktische Weisheitszahnentfernung oder die Pericoronitisbehandlung der Versicherungspflicht. Ist hingegen der 7er resorbiert und muss durch ein Implantat ersetzt werden, bezahlt die Versicherung diese Behandlung. Nicht aber die Entfernung des Weisheitszahnes.

Betreffend Nebenwirkungen von Medikamenten ist ebenfalls für Klarheit gesorgt:
Veränderungen der Schleimhaut und Gingiva wie die Hyperplasie durch Antihypertonika, Antiepi?leptika oder Immunsuppressiva, Nekrosen durch Bisphosphonate, Mukositis durch Zytostatika (Metotrexat) oder toxische, allergische Reaktionen führen zu einem Leistungsumfang. Dieser beinhaltet PAR-Therapie, inklusive Medikamente, Extraktion, Gingivektomie oder
-plastik, Prophylaxemassnahmen, zahnerhaltende Massnahmen oder die Wiederherstellung der Kaufähigkeit. Keine Leistungspflicht besteht bei Zahnhartsubstanzdefekten.

Osteopathien:
Osteoporose, Osteomalazie, Osteodystopie, extreme Atrophie des Kieferknochens (Cawood Grad VI).
Leistungsumfang:
Wiederherstellen eines prothesenfähigen Kiefers, osteoplastische Rekonstruktion, Vestibulumplastik, Implantate, Sinuslift. Nicht aber prothetische Versorgung.

Zysten:
Leistungspflicht mit Verbindung zu Zahn und ohne, ausser wenn es sich um eine Pflichtleistung des KVG Art. 31, Abs. 17-19a oder Leistung des sozialen KVGs handelt. (Die Ausnahmen beziehen sich allgemein formuliert auf eine Vermeidbarkeit der Krankheit durch adäquate Mundhygiene und schränken somit die auf den ersten Blick kulante Behandlung der Zysten erheblich ein.)

Tritt Art. 25 bei Zysten in Kraft, wird die Behandlung übernommen, schliesst aber bei der Leistungspflicht die Wiederherstellung der Kaufähigkeit aus (Bezug eher auf ärztliche Behandlung). Gilt hingegen Art. 17 lit. c. Ziffer 4 des KLV, wird über die Zystenbehandlung hinaus auch für den Zahnersatz bezahlt (Bezug eher auf zahnärztliche Behandlung).

Deformierende, degenerative Erkrankungen des Kiefergelenks:
Zum Nachweis dienen klinische Befunde und radiologische Diagnostik. Ein DVT oder MRI sind dem OPT dabei vorzuziehen. Das Leiden des Patienten muss Krankheitswert haben.
Leistungsumfang:
– Zahnärztlich: MKG-chirurgische Eingriffe, Okklusionskorrektur, Beseitigung Okklusionshindernis, Wiederherstellung Kaufähigkeit
– Ärztlich: Schiene zur Entlastung des Gelenks, Physiotherapie, medizinische Schmerztherapie und Injektionen ins Kiefergelenk

Dysgnathie und Schlafapnoe (OSAS = obstruktives Schlafapnoesyndrom)
Nachweis:
– Einengung Pharynx (mittels FRS)
– Schlaflabor (polysomnografische Dokumentation)
– Apnoe Index > 15 (pro Stunde 15 x mehr als 10 Sekunden Apnoe)
– Apnoe-Hynol-Index > 5 (bezieht sich auf Sauerstoffsättigung)
Leistungsumfang:
Kiefergelenkschirurgie, KO-Behandlung Dysgnathie, Vorverlagerung Unterkiefer während des Schlafes, CPAP-Gerät (Verbesserung Sauerstoffversorgung mit Beatmung über Maske)

Schwere psychische Erkrankungen:
Definition:
Folgeschäden an den Zähnen durch schwere psychische Erkrankung, die psychiatrischer Behandlung bedürfen.
Leistungsumfang:
Professionelle Instruktion, Prophylaxe, Zahnsanierung, Rekonstruktion zur Erhaltung der Kaufähigkeit, Bisshebung
Keine Pflichtleistung bei:
– Regurgitation bei Oesophagusstenose
– Postoperative Übelkeit und Erbrechen (PONV)
– Organisches Erbrechen
– Medikamentöses Erbrechen
Laut Rechtssprechung in die Leistungspflicht aufgenommen bei:
– Bulimia nervosa
– Bruxismus/Abrasion

Vollnarkose:
Leistungspflicht bei:
– Kindern, nur wenn leistungspflichtiges Grundleiden vorliegt
– Bei Erwachsenen, wenn die Behandlung wegen Spasmen, starker Demenz, körperlich oder geistiger Behandlung o. ä. nur in Narkose möglich ist

Abschliessend wurde betont, dass das eidgenössische Versicherungsgericht, bzw. aktuell das Bundesgericht, für zahlreiche Referenzurteile gesorgt hat, was die Leistungspflicht der Versicherungen anbelangt. Diese Urteile geben bindende Orientierung.

Ausserdem ist die Mittel- und Gegenständeliste („MiGeL“) die gesetzliche Grundlage für die Kostenübernahme von Mitteln und Gegenständen als Pflichtleistungen der sozialen Krankenversicherung.

In die Thematik Involvierte freuen sich dennoch auf die von Dr. Weber angekündigte Neuauflage und Aktualisierung der MiGel noch in diesem Jahr, die dann auch bindende Tarifangaben enthalten soll.
Ein weiteres, interessantes Wort fiel über die Haftungspflicht des Zahnarztes: Gesetzliche Grundlage bietet Artikel 398, Abs. 2 des Obligationenrechts. Es besagt, dass der Arzt sich verpflichtet, für getreue und sorgfältige Ausführung des Geschäftes zu sorgen. Zum Erfolg ist er damit nicht verpflichtet, aber zur auf Erfolg ausgerichteten Behandlung. Haftungsvoraussetzungen sind Nachweis von:
– Schaden
– Verletzung der Sorgfaltspflicht, bzw. Behandlungsfehler (Beurteilung nach anerkannten Regeln des Berufes, Erstellung Gutachten)
– Kausalzusammenhang
– Verschulden des Arztes
– Adäquatsprüfung (natürlicher und adäquater Zusammenhang)

Der zweite Teil des Beitrages folgt bald.

 

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