DT News - Switzerland - 20. SSE-Jahreskongress liess keine Wünsche offen

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20. SSE-Jahreskongress liess keine Wünsche offen

SSE Vorstand v.l.n.r.: Dr. Denis Honegger, Dr. Bernard Thilo, Dr. Monika Marending Soltermann, Dr. Birgit Lehnert, Dr. Klaus Neuhaus, Prof. Dr. Serge Bouillaguet, Dr. Patrick Sequeira, Dr. Reto Lauper, Dr. Andreas Aebi. Nicht im Bild: Dr. Hanjo Hecker
Dr. med. dent. Philipp Kujumdshiev

Dr. med. dent. Philipp Kujumdshiev

So. 5 Februar 2012

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LAUSANNE - Den 20. Jahreskongress feierte die Schweizer Gesellschaft für Endodontologie SSE als Jubiläumsanlass am 20. und 21. Januar im Palais de Beaulieu in Lausanne. Ein Bericht von Dr. med. dent. Philipp Kujumdshiev.

Die Ehre des Eröffnungsvortrages hatte Dr. Ramachandran Nair inne. Als eines der Gründungsmitglieder liess er die Entstehungsgeschichte der SSE (Swiss Society for Endodontology) aus der Vogelperspektive Revue passieren. Aus einem „Club“ von sieben enthusiastischen Wissenschaftlern und Praktikern wurde eine gut organisierte Gesellschaft mit heute über 300 Mitgliedern, welche weiterhin für Kontinuität in der Weiterentwicklung der SSE stehen. Anschliessend wurde Dr. Ramachandran Nair der Guldener-Preis der SSE verliehen.

Empfehlungen für Uneinigkeiten

Dr. Beat Suter, Bern, nahm zu Kontroversen in der Endodontologie Stellung und ging auf strittige Punkte ein. Unbestritten allerdings ist heute der Gebrauch von Kofferdam, die Merkmale einer idealen Wurzelkanalaufbereitung und einer idealen Wurzelfüllung. Die Streitpunkte stellte er mit Hinweisen zur Literatur dar und gab seine persönlichen Empfehlungen dazu ab: vorhandene Rekonstruktionen vorerst erhalten, elektronische Längenbestimmung und Verwendung der patency technique (apikale Durchgängigkeit), apikaler Kanaldurchmesser mindestens so gross, dass sich die Spülflüssigkeit frei bewegen kann, Präparation mit möglichst starker apikaler Konizität, 2,5% NaOCl, Überfüllung vermeiden (aber lieber überfüllt, als zu kurze Wurzelfüllung), CaOH2-Einlagen, single-visit-Wurzelkanalbehandlung ist erlaubt, möglichst orthograd behandeln, Wurzelspitzenresektion nur, wenn orthograde Behandlung nicht erfolgreich).

Apikale Läsionen

Dr. Paul Dummer, Universität Cardiff, wies darauf hin, dass die Voraussetzung für die Heilung von apikalen Läsionen eine korrekte Kanalpräparation ist. Der antibakterielle Effekt von CaOH2 im Kanal ist eher limitiert. Allerdings hat offenbar auch die individuelle Immunantwort des Patienten Einfluss auf das Langzeitergebnis einer Wurzelkanalbehandlung. Ebenfalls in Studien ermittelt wurde der Fakt, dass zahnärztliche Faktoren (mangelndes Fachwissen, fehlende Übung, Ungeduld, schlechtes Risikomanagement, ungenügend professionelles Verhalten) die Hauptgründe für persistierende Läsionen sind.

SSE Student Prize und Mini-Workshops gut angenommen

Vor der Mittagspause stellten drei Studierende der Universitäten Basel, Bern und Zürich je einen von ihnen im Studentenkurs behandelten Fall vor. Nach der Mittagspause wurde durch die Jury der „SSE Student Prize“ an die Studentin Noemi Kaderli, UZM Basel, verliehen. Erstmals war es möglich, in den Pausen an den Ständen der verschiedenen Firmen die aktuellen Instrumente in einem Mini-Workshop auszuprobieren. Teilweise gaben die Referenten, die die einzelnen Systeme in ihren Vorträgen behandelten, kurze Einweisungen mit klinischen Tipps und Tricks. Der Nachmittag war den Herstellern aktueller Systeme gewidmet. Je ein Experte stellte das jeweilige System vor und zeigte Anwendungsbeispiele.

Neue NiTi-Feilensysteme näher beleuchtet

Prof. Zvi Metzger, Universität Tel Aviv, stellte das System der „Self Adjusting File“ SAF vor. Ein Instrument, bestehend aus einem sehr flexiblen und verformbarem NiTi-Netz, welches mit hoher Frequenz und kontinuierlicher Spülung im Kanal auf- und abbewegt wird. Dabei wird an nahezu allen Kanalwänden gleichmässig viel Dentin entfernt, sodass eine wirklich dreidimensionale Kanalaufbereitung stattfindet. Entsprechend sollte deshalb der Kanal natürlich mit plastischer Guttapercha gefüllt werden. Aufgrund der völlig anderen Geometrie sprach er von einem Paradigmenwechsel und zeigte eindrückliche µCT-Bilder, die die Effizienz des Systems bestätigten. Allerdings: Ohne Wenn, kein Aber. Der Preis für eine einzelne solcher Feilen (Einmalbenutzung) liegt bei über 40 Euro, zuzüglich Kosten für die Systemanschaffung. Anschliessend stellte Prof. Pierre Machtou, Universität Paris 7-Denis Diderot, das WaveOne-System von Dentsply-Maillefer vor. Hier wird mit nur einer einzelnen, jedoch in verschiedenen Grössen erhältlichen, NiTi-Feile das Kanalsystem maschinell aufbereitet. Der Clou ist die sich ständig ändernde Drehrichtung der Feile im Kanal (reziproke Bewegung). MicroMega, der Hersteller des Revo-S Systems, schickte Dr. Eric Bonnet, Universität Lyon, Fr, ins Rennen. Bei diesem System wird der Kanal mit drei Feilen maschinell rotierend aufbereitet. Allerdings ist die asymmetrische Schneidengeometrie der Instrumente das Geheimnis des Systems. Es sorgt für gute Schneidleistung bei geringerer Instrumentenbelastung und gewährleistet einen guten Abtransport der Dentinspäne aus dem Kanal. Dr. Gilberto Debelian, Universität Oslo, zeigte das Konzept BioRaCe des Herstellers FKG aus der Schweiz. Er demonstrierte, dass Bakterienpenetration ins Dentin auch im apikalen Bereich stärker ist als allgemeinhin angenommen. Daher sollte ein Wurzelkanal bis mindestens ISO 35 bzw. 40 aufbereitet werden. Er erklärte weiterhin verständlich die Bruchcharakteristiken (cyclic & torsional fatigue) von NiTi-Instrumenten. Mikrorisse entstehen bei der rotierenden Wurzelkanalaufbereitung immer, allerdings mit BioRaCe deutlich weniger. Weiterhin stellte er ein sich noch in der Entwicklung befindliches System zur Aufbereitung von nicht rotationssymmetrischen Kanälen in Aussicht.

Suche nach der besten Füllmethode

Prof. Roland Weiger, UZM Basel, hatte die Aufgabe, die beste Wurzelkanalfüllmethode zu evaluieren. Prinzipiell ist zwar die Wurzelfüllung ein wichtiger Eckpfeiler der Wurzelkanalbehandlung, aber nicht der entscheidende. Vielmehr hängt der Erfolg einer Wurzelkanalbehandlung von der Anzahl der im Kanal verbliebenen Bakterien ab. Die verschiedenen Methoden (laterale Kondensation, kaltfliessende Guttapercha mit Zentralstift, Thermafil, vertikale Kondensation, apikaler Teilstift, Guttaflow) verglich er gegeneinander und kam zum Schluss, dass es sehr stark von individuellen Faktoren abhängig sei, aber jedes der Systeme nach durchlaufener Lernkurve seine Berechtigung habe. Adhäsive Wurzelfüllmaterialien haben sich nicht bewährt. Wohl aber ist der (adhäsive) dichte koronale Verschluss wesentlicher Bestandteil einer Wurzelkanalbehandlung.

Möglichkeiten und Grenzen

Der zweite Kongresstag begann mit einem Rückblick auf 40 Jahre Endodontie. Prof. Gunnar Bergenholtz, Göteborg, zeigte auf, was funktioniert und was eben nicht. So stellen kurze (aber nicht zu kurze) Wurzelfüllungen nicht per se einen Misserfolg dar. Iatrogene Infektionen des Kanals sind unbedingt zu vermeiden. Im Vergleich zwischen apikalem Zahnfilm und DVT erkennt man im DVT deutlich besser apikale Läsionen, allerdings unter den bekannten Nachteilen (Strahlendosis, teures Equipment, Überinterpretation etc.). Hinsichtlich potentieller Risikofälle (obliterierte Kanäle, schwierige Kanalgeometrie) riet er, einen individuellen Behandlungsplan unter Abwägung der Vor- und Nachteile zu erstellen, die Kanalaufbereitung so weit wie möglich durchzuführen, keine Artefakte (Zipping, Stufen) zu produzieren und den Verlauf der Heilung regelmässig zu beobachten.

Entwicklung des Instrumentariums

In seinem zweiten Vortrag gab Prof. Pierre Machtou einen Überblick über die Entwicklung der Endo-Instrumente der letzten zwei Jahrzehnte. Meilensteine waren sicherlich die Konzepte „crown down“, „step down“ oder „balanced force“ bzw. die Einführung der NiTi-Instrumente in Sequenzen von rotierenden Systemen. Dass NiTi-Handinstrumente nicht per se erfolgreich waren, lag an deren naturgemässer hoher Elastizität. Erst durch die Rotation wurden die Instrumente effektiv.

Regenerative Medizin

Prof. Antony Smith, Universität Birmingham, versuchte, trotz der „trockenen“ stark wissenschaftlichen Materie, praktische Relevanz in seinen Vortrag zu bringen. Gegenüber der oralen Chirurgie sind die Endodontologen schon seit über 100 Jahren sehr erfolgreich in regenerativer Medizin tätig (Tertiärdentinbildung bei Pulpaüberkappung mit CaOH2). EDTA stimuliert offenbar ähnlich wie CaOH2 die Tertiärdentinbildung. Dentin enthält viele bioaktive, zur Regeneration nötige, Substanzen, allerdings ist es nun die Aufgabe der Wissenschaft, diese zu finden und zu aktivieren. Eventuell werden wir in Zukunft eher Zellen zur Regeneration „implantieren“.

Biofilm-Management

Ein ähnliches Feld beackerte Prof. Fouad Ashraf, Universität Maryland. Er zeigte die regenerative Potenz der Pulpa in eindrucksvollen Bildern auf und berichtete von Versuchen, den sich bildenden Biofilm im offenen Kanallumen mit neuen Antibiotika-Kombinationen (Ciprofloxazin+Metronidazol+Minozyclin) zu beseitigen. Das bekannte Augmentin oder das neuere Tigecyclin sind alternative, sehr potente Antibiotika im Kanal. Spüllösungen wie NaOCl und CHX wirken zwar antibakteriell, aber sind teilweise tödlich (CHX) für die in der Regeneration so wichtigen Stammzellen. Als Alternative kam er auf das bekannte EDTA (17%) zurück.

Endo-Paro-Läsionen

Die Problematik von Endo-Paro-Läsionen und deren Besonderheiten beschäftigte Prof. Andrea Mombelli, SMD Genf. Prinzipiell beherrschen die gleichen (gram-negativen, meist anaeroben) Bakterien (in einem Biofilm organisiert) das Milieu. Unterschiede zwischen extra- und intrakanalärem Milieu bestehen in der Verfügbarkeit von Sauerstoff und anderer entscheidender Substanzen. Beim Vorliegen einer kombinierten Läsion ist immer primär die Endo-Problematik therapeutisch anzugehen.

Vertikale Wurzelfrakturen

Prof. Claus Löst, Universität Tübingen, referierte über vertikale Wurzelfrakturen. Obwohl in der Literatur von nur sehr geringer Inzidenz (1-5%) geschrieben wird, zeigen seine eigenen Untersuchungen ein deutlich höheres Vorkommen (bis zu 37%). Die Ursache für diese Diskrepanz sieht er in meist nur sehr kleinen Frakturen (Minirissen)in der Wurzel, welche auch nach der Extraktion, also der immer noch einzig möglichen Therapieform, augenscheinlich nicht sehr oft erkannt werden. Die unklare Ätiologie versuchte er mit hohem Substanzverlust (aufgrund der WK-Aufbereitungstechnik), der eigentlichen Wurzelfüllungsmethode oder dessen Material (laterale Kondensation?), verwendeten Materialien (glasionomerhaltige Sealer), Spüllösungen und Einlagen (NaOCl, (CaOH)2) oder mit der Art der postendodontischen Versorgung (Stift oder kein Stift; Krone) zu erklären. Klar ist, dass solche Frakturen nicht nur apikal oder zervikal, sondern überall in der Wurzel entstehen können. Vor einer geplanten Extraktion sollte immer nach dem Vorliegen einer vertikalen Wurzelfraktur gesucht werden (mittels Explorativer Aufklappung). Auch per DVT sind solche Risse (noch) nicht erkennbar.

Beständiger Konflikt

Den Bogen zur Implantologie spannte Dr. Jan Berghmans, Universität Leuven, mit seiner Präsentation. Er stellte die Aussage eines bekannten (amerikanischen) Implantologen klar in Frage, nach dem ein Implantat prinzipiell die bessere Wahl für eine prothetische Versorgung wäre, als ein endodontisch behandelter Zahn. Obwohl er einige (teilweise bizarre) Röntgenbilder von offensichtlich nicht lege artis behandelten Zähnen zeigte, konnte er das Publikum davon überzeugen, dass mit korrekten Wurzelkanalbehandlungen versorgte Zähne nicht stärker kompromissbehaftet sind, als Implantate. Sein „Vorwurf“ an die Implantologie: Während bei implantatbezogenen Problemen oft nur von Komplikationen gesprochen wird, werden diese bei endodontsichen Problemen gleich zum Versagen oder Fehler stigmatisiert. Er propagiert und praktiziert generell eine Fassung der Höcker (vor allem bei Prämolaren) nach Endobehandlungen. Vor Beginn dieser muss immer geprüft werden, ob die nach der Behandlung wahrscheinlich vorhandene biologische Breite ausreichend für eine Restauration vorhanden ist, ob die noch vorhandene Zahnhartssubstanz ein Ferrule (1-2mm hoch, 1mm dick) zulässt und wie nach der Restauration das Kronen-Wurzel-Verhältnis ausfallen wird. Die höhere Frakturrate erklärte er mit dem hohen Substanzverlust und damit verbundener Schwächung. Inwiefern die fehlende Propriozeption eine Relevanz habe, müssen Untersuchungen noch zeigen. In seinen Augen sind die Erfolgsraten von Endo-Zahn und Einzelzahn-Implantat problemlos miteinander vergleichbar.

Lohnende Ausdauer

Im Anschluss an die letzte Präsentation wurden vom SSE-Vorstand Preise in Form von Geräten und Materialien im Wert von über Fr. 7‘000 an die noch im Raum befindlichen Zuhörer verliehen, sozusagen als Dank für das Ausharren bis zum Schluss. Zur Verfügung gestellt wurden die Preise freundlicherweise von den Ausstellern. Rundherum war es wieder ein gelungener Kongress mit dem Wermutstropfen, dass zeitglich der nationale Kongress der Osteology-Foundation in Zürich stattfand und sich so mancher Kollege die Frage stellen musste, an welcher Veranstaltung er denn teilnehmen solle.

Guldener Endodontic Prize

Der Preis wird zu Ehren von Dr. Peter H. A. Guldener vergeben. Dr. Guldener galt als einer der Befürworter der Endodontologie in der Schweiz in den letzten 30 Jahren und war ein bedeutender Endodontologe, Ausbilder, treibende Kraft, Gründungsmitglied sowie erster Präsident der SSE. Der Guldener Endodontic Prize ist mit Fr 5‘000.00 dotiert. Weitere Information dazu finden Sie unter www.endodontology.ch/prizes.

Informationen: www.endodontology.ch

Fotos: Johannes Eschmann / Dr. Philipp Kujumdshiev

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