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Jahreskongress der SSE 2010 Bern

Präsident SSE Dr. Bernard Thilo, Pully
med. dent. Roman Wieland

med. dent. Roman Wieland

Do. 4 Februar 2010

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BERN – „HiEndo – New Technologies“, unter diesem Motto präsentierten internationale Referenten Innovationen und neueste Forschungsergebnisse am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Endodontologie SSE. Der zweitägige Kongress fand am 22. und 23. Januar statt.

Am ersten Tag wurden neue Spül- und Reinigungsmethoden für Wurzelkanäle, neue Nickel-Titan-Instrumente und praktische Tipps und Kniffs zur postendodontischen Restauration vorgestellt. Am zweiten Tag wurde über die digitale Praxis, die fotoaktivierten Desinfektionen und das praktisch orientierte Konzept der endodontischen Notfallbehandlung referiert. Neu fanden am Nachmittag jeweils praktische Hands-on-Kurse sowie eine Table-Clinic Session statt.

EndoVac zur optimalen Spülung der apikalen „stagnation zone“
Es kann vorkommen, dass trotz einer sorgfältigen Wurzelkanalbehandlung bereits nach einem Monat wieder Beschwerden auftreten. Eine mögliche Ursache ist der „apical vapour lock“, eine Luftblase verbleibt im apikalen Wurzelkanalbereich und verhindert die suffiziente Spülung mit Desinfektionsmitteln. Das Vorhandensein einer solchen Blase wurde wissenschaftlich durch Dr. Li-sha Gu aus China nachgewiesen. Weder mit einer Feile noch mit der Spülkanüle kann die Luftblase entfernt werden, denn die 300-fach höhere Oberflächenspannung hindert die Blase am Aufsteigen. Dr. John Schoeffel aus den USA trat als erster Referent auf und präsentierte seine neueste Entwicklung, den EndoVac. Damit lassen sich solche Luftblasen entfernen und es ermöglicht eine optimale Spülung der angrenzenden Dentintubuli im apikalen Bereich. Nach seinen Angaben sind selbst Ultraschall-Spülmethoden mit Druck nicht fähig, diesen Bereich optimal zu spülen. Das EndoVac funktioniert folgenderweise: Eine dünne Kanüle mit Öffnungen an der Spitze wird bis nach apikal eingeführt, von koronal wird Natriumhypochlorit neben der Kanüle in den Kanal eingelassen, durch Unterdruck in der Kanüle wird das Natriumhypochlorit bis nach apikal gezogen und dort aufgesaugt. Das Desinfektionsmittel kann somit in genügender Menge durch den Kanal fliessen und so alle Bereiche optimal spülen. Dr. Schoeffel präsentierte Forschungsergebnisse, dass selbst Seitenkanäle mit seinem neu entwickelten EndoVac besser gereinigt würden, im Vergleich zu konventionellen Methoden. Mit Videobeispielen demonstrierte er die überlegene Reinigungskraft von seinem Gerät. Weitere Vorteile sind, dass keine Luft oder Natriumhypochlorit über den Apex hinaus gepresst werden können und somit weniger Zwischenfälle resultieren.

Neue Path-File
Prof. Elio Berutti von der Universität Turin präsentierte die neueste Entwicklung von Maillefer, die Nickel-Titan-„PathFile“ zur Schaffung des „Glidepaths“. Seine Arbeitstechnik besteht bei einem normalen Kanal darin, erst eine 10er Handfeile zu benützen, dann die neue „PathFile“ und für die Ausarbeitung ein normales NiTi-System zu verwenden. Prof. Berutti schlägt für die Schaffung von „Glidepaths“ vor, statt Hand-K-Feilen die neue NiTi-„Path-File“ zu verwenden. Er präsentierte Studien die zeigen, dass im Vergleich zur K-Feile bei der neuen „PathFile“ weniger post-operative Schmerzen, weniger apikale Opturationen und weniger Instrumentenbrüche auftreten sowie das Ganze weniger Zeit beanspruche.

Abb. 1, v.l.n.r.: Dr. John Schoeffel, Kalifornien/USA. Abb. 2: Dr. Elio Berutti, Universität Turin. Abb. 1, v.l.n.r.: Dr. David Clark, USA. Abb. 2: Dr. Eric Herbranson, San Francisco/USA. Das perizervikale Dentin als wichtigste Zone für die Stabilität nach Endo
Dres. David Clark und Eric Herbranson, beide aus den USA, sorgten auf der Bühne in typisch amerikanischer Manier für Unterhaltung. Während der eine sein Thema vorstellte, klinkte sich der andere immer wieder mit Anekdoten oder spannenden Bemerkungen ein. Die beiden führten auf der Bühne eine Fachdiskussion, an der man gut teilnehmen konnte. Amüsant war auch, wie jeder erwähnte Kollege mit „the most prestigious guy in the world I know“ umschrieben wurde, was einerseits zur Show gehörte, andererseits den Zuhörern zeigte, wie sich der Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Endodontologie bemühte, Top-Referenten aus aller Welt einzuladen. Man fühlte sich wie an einer internationalen Universität, an der das beste Wissen aus der ganzen Welt zusammengetragen wird. Bis auf wenige Vorträge wurden alle in englischer Sprache vorgetragen und simultan übersetzt.

Die beiden Referenten, die während ihres Vortrages immer wieder auf die Wichtigkeit eines Mikroskops in der Endodontie hinwiesen, berichteten über viele Tipps und Kniffe für den Alltag: Ein guter Trepanationspunkt eines zu behandelnden Zahnes, um nicht auf falsche Fährten zu gelangen und eine Perforation zu fabrizieren, ist exponiertes Dentin. Beim Trepanieren soll man rechtzeitig auf ein Ultraschall-Instrument mit dünner Spitze wechseln, weil der Kopf vom Winkelstück sonst die Sicht behindert. Der Straight-Line Access soll möglichst die Zahnhartsubstanz schonend sein, sodass der für die Stabilität wichtige Bereich drei Millimeter über und unterhalb der Knochengrenze (das perizervikale Dentin) möglichst nicht wegpräpariert wird. Dres. David Clark und Eric Herbranson schlagen eine biomimetische Präparation vor, was so viel heisst wie möglichst nichtinvasiv vorzugehen, um die von der Natur gedachte Struktur nicht zu zerstören. Der Durchmesser des präparierten Wurzelkanals soll im Querschnitt maximal ein Viertel der ganzen Breite der Wurzel auf Knochenniveau ausmachen. Um trotzdem möglichst viel Licht in die Kavität zu bringen, ist das vorsichtige Sandstrahlen der Kavität eine gute Lösung. Beispielsweise Amalgamverfärbungen können so sanft entfernt werden und die weissere Oberfläche reflektiert dann mehr Licht. Sind mehrere Wurzelkanäle mit unklaren Zusammenläufen oder Seitenkanälen vorhanden, so schlägt Dr. Clark vor, mit einer Spritze leicht Luft in einen Kanal zu geben und zu schauen, bei welchen Kanälen die Luft wieder austritt. Bei der Versorgung mit Komposit bringen sie zuerst Flowable Komposit auf, härten dieses aber noch nicht aus, sondern bringen erst das in der Konsistenz dickere Komposit auf, um das überflüssige Flowable zu verdrängen. Es geraten so keine zusätzlichen Luftblasen hinein und es entsteht ein guter Verbund zwischen den beiden Kompositschichten.

Die Vorteile einer digitalen Praxis in der Endodontie
Dr. Anthony Hoskinson aus Grossbritannien berichtete auf prägnante Art und Weise, wie eine digitale Praxis auszusehen hat und was deren Vorteile sind. Für den endodontologisch arbeitenden Zahnarzt ist die schnelle Entwicklung der Röntgenbilder wohl der grösste Gewinn, für Spezialisten mit vielen Überweisungen ist das Verfassen von Rücküberweisungsschreiben ein Leichtes, denn die Röntgenbilder können auf einfache Weise ins Textdokument eingefügt werden. Ebenfalls lassen sich die Bilder auf einfache Weise für spätere Studien oder Fachvorträge archivieren. Macht Dr. Hoskinson eine Videoaufnahme von einer Wurzelkanalbehandlung, so hat die Gehilfin ebenfalls Blick auf einen Monitor, damit diese über den Behandlungsablauf optimal informiert ist. Vor lauter Vorteilen gerieten die Nachteile etwas in den Hintergrund, eine Amortisation von 18 Monaten müsse man schon in Kauf nehmen. Hardware und Software sollen wenn möglich von einem Anbieter bezogen werden, so werden auftretende Probleme nicht von einem Anbieter zum anderen geschoben. Komplette Ausfälle des Systems sieht Dr. Hoskinson als ein selten eintreffendes Ereignis und als einen Vorfall, der vom Patienten gut geduldet wird. Anhand der Bilder aus seiner Praxis war auch gut ersichtlich, wie schwierig es für eine bestehende Praxis sein kann, auf digitale Patientenverwaltung umzurüsten, ohne gleich für drei Monate zu schliessen. Viel Improvisationsgeschick mit mobilen Wägelchen und Kabelbäumen ist beim Aufrüsten gefragt, leider bleibt die „Aufgeräumtheit“ einer Praxis oftmals etwas auf der Strecke. Dr. Hoskinson benützt für die Dateneingabe das Programm „The Digital Office“ (www.tdo4endo.com), diese Software wurde von einem Endodontologen entwickelt und ist optimal auf die Bedürfnisse eines solchen Spezialisten zugeschnitten. Die Software ist ausführlich aufgebaut. Damit kein Punkt vergessen wird, sind zum Beispiel sämtliche Befundmöglichkeiten bei einem Aufbiss-Test zum Anklicken aufgelistet.
 

Abb. 1, v.l.n.r.: Dr. Anthony Hoskinson, England. Abb. 2: PD Dr. Serge Bouillaguet, Universität Genf. Neueste Entwicklungen in der fotoinduzierten Desinfektion
Dass der Goldstandard der Wurzelkanalspülung, das Natriumhypochlorit, mit seiner gewebsauflösenden und seiner antimikrobiellen Wirkung gegen die meisten Wurzelkanalkeime auch seine negativen Seiten, wie die der Gefahr einer über den Apex gehenden Spülung, hat, ist bekannt. Gemäss Studien haben 25 % der amerikanischen Zahnärzte bereits einmal in ihrer Karriere eine natriumhypochloritinduzierte Nebenwirkung beim Patienten erlebt. Desweiteren zeigen neueste Studien, dass Natriumhypochlorit apikale Zellen abtötet, welche aber für die Regeneration von Nutzen wären. Privatdozent Dr. Serge Bouillaguet von der Universität Genf zeigte in einem spannenden Vortrag, wie diese Probleme auf ganz andere Weise angegangen werden können. Um die Nebenwirkungen dieser Chlorlösung zu umgehen, forscht er auf dem Weg der fotoinduzierten Desinfektion. Mit Licht wird ein Stoff angeregt, der Sauerstoff in zwei Sauerstoffradikale auftrennt, welche dann ihre antimikrobielle Wirkung entfalten können. Die momentan verbreitesten fotoinduzierenden Geräte funktionieren mit rotem Licht, weil diese Wellenlänge am tiefsten ins Gewebe einzutreten vermag. Methylenblau wird als Fotoaktivator (Substanz, die das Licht empfängt und Radikale herstellt) verwendet. Studien zeigen, dass diese Methode zum Desinfizieren von Wurzelkanälen geeignet ist, mit 30 Minuten Bestrahlungsdauer aber in der Praxis nicht anwendbar ist. Weiter hat diese Methode den Nachteil, dass mit rotem Licht bestrahlte Gewebe thermisch geschädigt werden können und dass Laser mit rotem Licht noch wenig verbreitet sind. Dr. Bouillaguet und sein Team forschen nun an alternativen Fotoaktivatoren, welche mit den überall vorhandenen blauen Komposit-Härtelampen aktiviert werden können. Erste Studien zeigen, dass blaues Licht zur fotoaktivierten Desinfektion verwendet werden kann. Auf der Suche nach einem geeigneten Stoff ging das Team sehr innovativ vor und testete verschiedene in der Natur vorkommende Stoffe, so zum Beispiel die gelbe Curcumin-Wurzel aus dem Currypulver. Vielversprechende Studien liegen bereits vor. Diese zeigen, dass die getesteten Fotoaktivatoren schon in geringer Konzentration antimikrobielle Wirkungen zeigen. Dr. Bouillaguet gab zum Schluss einen Ausblick, wo die fotoaktivierte Desinfektion überall eingesetzt werden kann. So kann er sich vorstellen, dass, ähnlich dem Ozon, kariöse Läsionen behandelt werden könnten.

Endodontologischer Notfall – aber nur 30 Minuten Zeit?
Dr. Beatrice Siegrist Guldener, Bern, zeigte, wie man einen endodontologischen Notfall mit einer Zeitbeschränkung von 30 Minuten sicher bewältigen kann. Anhand verschiedener Patientenfälle, von akzidenteller Pulpaeröffnung bis falsch lokalisierten Zahnschmerzen bei irreversibler Pulpitis, zeigte sie, wie wichtig ein sorgfältiger Befund ist. Besonders betont hat Dr. Siegrist Guldener, dass keine invasive Behandlung ohne sichere Diagnose erfolgen darf. Um die Wichtigkeit eines guten Befundes zu untermauern, erklärte sie anhand von Studien, wie bereits kleine kariöse Läsionen starke Schmerzen auslösen können. Ursache sind die 2006 entdeckten „toll-like“-Rezeptoren auf der Dentinoberfläche, welche speziell auf Lipopolysaccharide von Plaque-Bakterien reagieren. Die „toll-like“ Rezeptoren lösen dann neurogene Entzündungen mit starkem Verstärkungseffekt aus, was zu Falschinterpretationen führen kann.

Dr. Beatrice Siegrist Guldener, Bern, mit dem Kassier SSE Hanjo Hecker, Universität Basel. Nach gründlicher Befundung ist die, in dieser Situation vorgegebene, Zeit meist bereits zur Hälfte aufgebraucht, und es stellt sich die Frage, ob eine notfallmässige Pulpektomie in 15 Minuten aus wissenschaftlicher Sicht vertretbar ist? Studien zeigen, dass 96 % beschwerdefrei bleiben. Dr. Siegrist Guldener empfiehlt folgendes Vorgehen bei einer endodontologischen Notfallbehandlung, zum Beispiel einer irreversiblen Pulpitis:

1. Langsame Injektion des Anästhetikums
2. Kofferdam
3. Zugangspräparation, aber keine Kanalsuche
4. restlose Kariesentfernung!
5. Kronen-Pulpakavum reichlich spülen mit Natriumhypochlorit
6. Kalziumhydroxid-Einlage in Pulpakavum
7. dichtes Provisorium mit einer Mindestschichtdicke von vier Millimetern.

Die Schmerzreduktion wird mit Analgetika unterstützt, bei eventuellen Abszessen engmaschige Überwachung, Antibiotika nicht als Schmerzmittel
verwenden und nur bei systemischen Symptomen verabreichen, die definitive Kanalaufbereitung soll sobald als möglich erfolgen.

Hands-on-Kurse zur Festigung des Erlernten
Die am Nachmittag stattfindenden Hands-on-Kurse liessen die Zahnärzte das am Morgen Erlernte ausprobieren und anwenden. Drei verschiedene Kurse gab es insgesamt zu absolvieren, betreut durch die jeweils am Morgen vortragenden Referenten.

Über 300 Zahnärzte besuchten den zweitägigen Kongress, auch SSO-Präsident François Keller war anwesend. Durch einen guten Mix aus einzelnen Patientenfällen und statistischer Absicherung durch Laborstudien waren die Vorträge wissenschaftlich begründet und trotzdem gut nachvollziehbar.
Kongress 2011
Der nächste Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Endodontologie findet vom 28. bis 29. Januar 2011 in Zug statt, das Motto lautet „Behind the rubber dam – What else?“.
www.endodontolgy.ch

Klinische Studien fehlen noch
Obwohl die Vielzahl an In-vitro-Studien vielversprechend ist, fehlt es zur Bestätigung dieser neuen Techniken noch an klinischen Studien, vor allem randomisierten klinischen Studien am Menschen.
 

 

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